Für wen war Hegel relevant?

Georg Wilhelm Friedrich Hegels Philosophie hatte einen tiefgreifenden Einfluss auf die Entwicklung des westlichen Denkens, und viele Denker und Wissenschaftler haben sich mit seinen Ideen auseinandergesetzt oder auf unterschiedliche Weise darauf reagiert. Es ist schwierig, eine erschöpfende Darstellung seiner Wirkungsgeschichte zu erstellen. Es folgt eine Auswahl an Philosoph:innen, Wissenschaftler:innen und Bewegungen, die sich mit Hegels Philosophie beschäftigt und auf sie substanziell reagiert haben:

  • G.W.F. Hegels Zeitgenossen: Schelling und Fichte z.B. waren Zeitgenossen Hegels, die mit ihm im intellektuellen Austausch standen.
  • “Junghegelianer”: Eine Gruppe von Philosophen, darunter Ludwig Feuerbach, Bruno Bauer und Max Stirner, die Hegels Ideen auf unterschiedliche Weise kritisierten und neu interpretierten. Feuerbach betonte den Materialismus und die Kritik an der Religion. Dazu die “Althegelianer”.
  • Karl Marx: Marx entwickelte seine eigene materialistische und dialektische Geschichtsphilosophie, die Hegels Idealismus kritisierte und transformierte, was zur Entwicklung des Marxismus und Kommunismus führte. Marx nennt Hegel als einen seiner Lieblingsautoren.
  • Friedrich Engels: Engels arbeitete mit Karl Marx zusammen und trug zur Entwicklung der marxistischen Theorie bei, die sich gegen Hegels Idealismus richtete.
  • Arthur Schopenhauer: Schopenhauer kritisierte Hegels Idealismus und entwickelte seine eigene Philosophie, die das Primat des Willens betonte.
  • Søren Kierkegaard: Kierkegaard wandte sich gegen Hegels Systematisierung des Denkens und betonte die individuelle Subjektivität, den Glauben und existenzielle Fragen.
  • Friedrich Nietzsche: Nietzsche kritisierte Hegels Rationalismus und Idealismus und beschäftigte sich mit Themen wie dem “Willen zur Macht” und der Umwertung von Werten.
  • Edmund Husserl: Als Begründer der Phänomenologie wandte sich Husserls Philosophie gegen den Hegelschen Idealismus und konzentrierte sich auf das Studium der bewussten Erfahrung und Wahrnehmung.
  • Martin Heidegger: Heidegger, ein bedeutender Existentialist und Phänomenologe, wandte sich gegen die Hegelsche Philosophie und entwickelte ein eigenes philosophisches System.
  • Maurice Merleau-Ponty: Ein Phänomenologe, der auf die Philosophie Hegels reagierte und Ideen entwickelte, die im Gegensatz zu dieser standen.
  • Pragmatismus: Philosophen, die mit der amerikanischen pragmatistischen Tradition verbunden sind, wie Charles Peirce, William James und John Dewey, reagierten auf Hegels Idealismus, indem sie die praktischen und erfahrungsbezogenen Aspekte der Philosophie betonten.
  • Analytische Philosophie: Die analytische Tradition, zu der Denker wie Bertrand Russell und Ludwig Wittgenstein gehören, entwickelte sich als Reaktion auf den kontinentalen Idealismus von Philosophen wie insbesondere Hegel. Wittgensteins spätere Philosophie näherte sich Hegels Erkenntnissen an.
  • Karl Popper u.a. versuchten Hegel durch sehr “selektives” Lesen – d.h. im Wesentlichen: durch Ignorieren – zu erkennen.
  • Alexandre Kojève hat Hegel in den Mittelpunkt seines Denkens gestellt.
  • Ebenso Georg Lukács.
  • Existentialismus: Existentialistische Philosophen wie Jean-Paul Sartre und Albert Camus reagierten auf Hegels Betonung von Vernunft und System zugunsten der individuellen Existenz und Freiheit.
  • Poststrukturalismus und Postmoderne: Philosophen wie Michel Foucault und Jacques Derrida wendeten sich gegen Hegels große Erzählungen und Systeme und betonten die Kontingenz und Dekonstruktion des Wissens.
  • Neo-Hegelianer: Philosophen, die versuchten, Hegels Ideen neu zu interpretieren und für die zeitgenössische Philosophie anzupassen, wie Josiah Royce und Bradley.
  • Kritische Theorie: Die Frankfurter Schule, zu der Persönlichkeiten wie Theodor Adorno und Herbert Marcuse gehörten, setzte sich im Rahmen der Kritischen Theorie mit der Hegelschen Philosophie auseinander und übte Kritik an ihr.
  • Die zur “zweiten Generation der Frankfurter Schule” zu zählenden Jürgen Habermas und Axel Honneth haben sich intensiv mit Hegel beschäftigt. Ersterer teilt die Philosophiegeschichte ab dem 19. Jahrhundert in diejenigen, die Hume folgen und diejenige der Junghegelianer ein, letzterer hat erst vor wenigen Jahren eine komplette “Reaktualisierung” der “Grundlinien der Philosophie des Rechts” vorgelegt.
  • Die Sozialphilosophinnen Seyla Benhabib und Judith Butler haben zu Hegel promoviert und sich auch später mit seiner Philosophie weiter auseinander gesetzt.
  • Wilhelm Dilthey, Leo Strauss, Julius Binder, Karl Larenz, Slavoj Žižek, Rosi Braidotti, Victor Stoichita, Bruno Latour, Armin Nassehi, Hélène Cixous, John McDowell u.v.m.

Man kann mit oder gegen Hegel denken – aber nicht ohne ihn. Und das heißt, man muss an den “Quelltext”, an Hegels eigene Texte. Sekundärliteratur (siehe Liste) reicht nicht. “Die Bedeutung Hegels ist […] nicht zuletzt deswegen so umstritten, weil man sein Werk teils gar nicht liest, teils aus diversen Ursachen nicht lesen kann. […] Es gibt allerdings kaum ein philosophisches Werk, dessen Zugänglichkeit so von einer gediegenen Lesefertigkeit abhängt wie das Hegels.” (Pirmin Stekeler).

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