Diese Frage beruht auf einem falschen Gegensatz. Die Geschichte ist nicht entweder das eine oder das andere. Sie ist ein Prozess, in dem der Determinismus der Vernunft sich durch das Chaos der menschlichen Leidenschaften verwirklicht.
Um das zu verstehen, müssen wir zwei Ebenen unterscheiden:
- Die „Maschinerie“ der Geschichte (Das, was Menschen tun).
- Die „Logik“ der Geschichte (Das, was getan wird).
1. Die „Maschinerie“: Ja, die Geschichte ist menschengemacht
Die Akteure auf der Weltbühne, das Material und der Antrieb der Geschichte sind ausschließlich die Menschen.
- Die Leidenschaften: Der Motor der Geschichte sind die menschlichen Interessen, Begierden, der Ehrgeiz, die Habgier, die Liebe und der Hass. Die Menschen handeln, um ihre partikularen (privaten) Ziele zu erreichen. Sie glauben, sie machten „ihre“ Geschichte. Ohne diese menschlichen Taten gäbe es keine Geschichte. In diesem Sinne ist jede Tat „menschengemacht“.
2. Die „Logik“: Ja, die Geschichte ist deterministisch
Hinter diesem scheinbar chaotischen Treiben der Menschen (dem „menschengemachten“ Teil) wirkt eine Notwendigkeit. Aber dieser Determinismus ist kein blindes Schicksal oder ein äußerer Gott, der Marionetten tanzen lässt.
Der Determinismus der Geschichte ist die immanente, logische Entfaltung der Vernunft selbst.
- Der Weltgeist (siehe Glossar): Die Geschichte ist der Prozess, in dem der Geist (die Menschheit als Ganze) sich seiner eigenen Freiheit (siehe Glossar) bewusst wird und diese Freiheit in Institutionen (dem Staat, siehe Glossar) verwirklicht.
- Die Notwendigkeit: Dieser Prozess ist „deterministisch“ in dem Sinne, dass er logischen Stufen folgt. Die Freiheit muss sich vom Bewusstsein, dass nur Einer frei ist (Despotie), zur Freiheit Einiger (Aristokratie) bis zur Freiheit Aller (dem modernen Staat) entwickeln.
3. Die Synthese: Die „List der Vernunft“ (Wie beides zusammenkommt)
Wie bringt die „deterministische“ Vernunft (die Logik) nun die „menschengemachte“ Leidenschaft dazu, ihr Ziel zu erreichen?
Die Antwort ist die „List der Vernunft“ (siehe Glossar).
- Die „List“ ist der Mechanismus, durch den der Weltgeist (die Logik der Geschichte) die Leidenschaften der Menschen (den „menschengemachten“ Teil) für seine eigenen, höheren Zwecke benutzt, ohne dass die Menschen dies wissen.
- Welthistorische Individuen: Ein Cäsar oder ein Napoleon sind perfekte Beispiele. Sie glauben, sie würden nur ihre persönliche Machtgier und ihren Ehrgeiz (ihre „menschengemachten“ Ziele) verfolgen.
- Das Resultat: Indem sie rücksichtslos ihre Leidenschaften ausleben, zerstören sie (unwissentlich) eine alte, unvernünftige Welt (z.B. die Römische Republik oder das feudale Europa) und schaffen (unwissentlich) die notwendige Grundlage für die nächste Stufe der Freiheit (das Römische Reich, den modernen Nationalstaat).
Fazit
Die Geschichte ist menschengemacht, denn ihr einziger Motor sind menschliche Handlungen und Leidenschaften. Die Geschichte ist deterministisch, denn ihre innere Logik und ihr Gesamtergebnis (die Verwirklichung der Freiheit) sind vernünftig und notwendig.
Der Determinismus der Vernunft setzt das menschliche Handeln als sein Werkzeug voraus. Insofern das menschliche Handeln glaubt, frei (im Sinne von willkürlich) zu sein, nur die eigenen partikularen Zwecke verfolgen zu können, macht es sich so doch nur zum Werkzeug der Vernunft.
