303

Der allgemeine, näher dem Dienst der Regierung sich widmende Stand hat unmittelbar in seiner Bestimmung, das Allgemeine zum Zwecke seiner wesentlichen Tätigkeit zu haben; in dem ständischen Elemente der gesetzgebenden Gewalt kommt der Privatstand zu einer politischen Bedeutung und Wirksamkeit. Derselbe kann nun dabei weder als bloße ungeschiedene Masse noch als eine in ihre Atome aufgelöste Menge erscheinen, sondern als das, was er bereits ist, nämlich unterschieden in den auf das substantielle Verhältnis und in den auf die besonderen Bedürfnisse und die sie vermittelnde Arbeit sich gründenden Stand (§ 201 ff.). Nur so knüpft sich in dieser Rücksicht wahrhaft das im Staate wirkliche Besondere an das Allgemeine an.

Kommentare

Eine Antwort zu „303“

  1. Avatar von Karl Marx
    Karl Marx

    § 303. »Der allgemeine, näher dem Dienst der Regierung sich widmende Stand hat unmittelbar in seiner Bestimmung, das Allgemeine zum Zwecke seiner wesentlichen Tätigkeit zu haben; in dem ständischen Elemente der gesetzgebenden Gewalt kommt der Privatstand zu einer politischen Bedeutung und Wirksamkeit. Derselbe kann nun dabei weder als bloße ungeschiedene Masse noch als eine in ihre Atome aufgelöste Menge erscheinen, sondern als das, was er bereits ist, nämlich unterschieden in den auf das substantielle Verhältnis und in den auf die besonderen Bedürfnisse und die sie vermittelnde Arbeit sich gründenden Stand […]. Nur so knüpft sich in dieser Rücksicht wahrhaft das im Staate wirkliche Besondere an das Allgemeine an.

    Hier haben wir die Lösung des Rätsels. »In dem ständischen Elemente der gesetzgebenden Gewalt kommt der Privatstand zu einer politischen Bedeutung.« Versteht sich, daß der Privatstand nach dem, was er ist, nach seiner Gliederung in der bürgerlichen Gesellschaft (den allgemeinen Stand hat Hegel schon als den der Regierung sich widmenden bezeichnet; der allgemeine |274| Stand ist also durch die Regierungsgewalt in der gesetzgebenden Gewalt vertreten) zu dieser Bedeutung kommt.

    Das ständische Element ist die politische Bedeutung des Privatstandes, des unpolitischen Standes, eine contradictio in adjecto |ein Widerspruch in der Begriffsbestimmung|. Oder in dem von Hegel beschriebenen Stand hat der Privatstand (weiter überhaupt der Unterschied des Privatstandes) eine politische Bedeutung. Der Privatstand gehört zum Wesen, zur Politik dieses Staates. Er gibt ihm daher auch eine politische Bedeutung, d.h. eine andere Bedeutung als seine wirkliche Bedeutung.

    In der Anmerkung heißt es:

    »Dies gehet gegen eine andere gangbare Vorstellung, daß, indem der Privatstand zur Teilnahme an der allgemeinen Sache in der gesetzgebenden Gewalt erhoben wird, er dabei in Form der Einzelnen erscheinen müsse, sei es, daß sie Stellvertreter für diese Funktion wählen, oder daß gar selbst jeder eine Stimme dabei exerzieren solle. Diese atomistische, abstrakte Ansicht verschwindet schon in der Familie wie in der bürgerlichen Gesellschaft, wo der Einzelne nur als Mitglied eines Allgemeinen zur Erscheinung kommt. Der Staat aber ist wesentlich eine Organisation von solchen Gliedern, die für sich Kreise sind, und in ihm soll sich kein Moment als eine unorganische Menge zeigen. Die Vielen als Einzelne, was man gerne unter Volk versteht, sind wohl ein Zusammen, aber nur als die Menge, – eine formlose Masse, deren Bewegung und Tun eben damit nur elementarisch, vernunftlos, wild und fürchterlich wäre.«

    »Die Vorstellung, welche die in jenen Kreisen schon vorhandenen Gemeinwesen, wo sie ins Politische, d.i. in den Standpunkt der höchsten konkreten Allgemeinheit eintreten, wieder in eine Menge von Individuen auflöst, hält eben damit das bürgerliche und das politische Leben voneinander getrennt und stellt dieses sozusagen in die Luft, da seine Basis nur die abstrakte Einzelnheit der Willkür und Meinung, somit das Zufällige, nicht eine an und für sich feste und berechtigte Grundlage sein würde.«

    »Obgleich in den Vorstellungen sogenannter Theorien die Stände der bürgerlichen Gesellschaft überhaupt und die Stände in politischer Bedeutung weit auseinander liegen, so hat doch die Sprache noch diese Vereinigung erhalten, die früher ohnehin vorhanden war.

    »Der allgemeine, näher dem Dienst der Regierung sich widmende Stand.«

    Hegel geht von der Voraussetzung aus, daß der allgemeine Stand im »Dienst der Regierung« steht. Er unterstellt die allgemeine Intelligenz als »ständisch und ständig«.

    »In dem ständischen Elemente etc.« Die »politische Bedeutung und Wirksamkeit« des Privatstandes ist eine besondere Bedeutung und Wirksamkeit desselben. Der Privatstand verwandelt sich nicht in den politischen Stand, sondern als Privatstand tritt er in seine politische Wirksamkeit und Bedeutung. Er hat |275| nicht politische Wirksamkeit und Bedeutung schlechthin. Seine politische Wirksamkeit und Bedeutung ist die politische Wirksamkeit und Bedeutung des Privatstandes als Privatstand. Der Privatstand kann also nur nach dem Ständeunterschied der bürgerlichen Gesellschaft in die politische Sphäre treten. Der Ständeunterschied der bürgerlichen Gesellschaft wird zu einem politischen Unterschied.

    Schon die Sprache, sagt Hegel, drückt die Identität der Stände der bürgerlich Gesellschaft und der Stände in politischer Bedeutung aus, eine »Vereinigung«, »die früher ohnehin vorhanden war«, also, sollte man schließen, jetzt nicht mehr vorhanden ist.

    Hegel findet, daß »sich in dieser Rücksicht wahrhaft das im Staate wirklich Besondere an das Allgemeine anknüpft«. Die Trennung des »bürgerlichen und des politischen Lebens« soll auf diese Weise aufgehoben und ihre »Identität« gesetzt sein.

    Hegel stützt sich darauf:

    »In jenen Kreisen« (Familie und bürgerliche Gesellschaft) »sind schon Gemeinwesen vorhanden.« Wie kann man diese da, »wo sie ins Politische, d.i. in den Standpunkt der höchsten konkreten Allgemeinheit eintreten«, »wieder in eine Menge von Individuen auflösen« wollen?

    Es ist wichtig, diese Entwicklung genau zu verfolgen.

    Die Spitze der Hegelschen Identität war, wie er selbst gesteht, das Mittelalter. Hier waren die Stände der bürgerlichen Gesellschaft überhaupt und die Stande in politischer Bedeutung identisch. Man kann den Geist des Mittelalters so aussprechen: Die Stände der bürgerlichen Gesellschaft und die Stände in politischer Bedeutung waren identisch, weil die bürgerliche Gesellschaft die politische Gesellschaft war: weil das organische Prinzip der bürgerlichen Gesellschaft das Prinzip des Staats war.

    Allein Hegel geht von der Trennung der »bürgerlichen Gesellschaft« und des »politischen Staates« als zweier fester Gegensätze, zweier wirklich verschiedner Sphären aus. Diese Trennung ist allerdings wirklich im modernen Staat vorhanden. Die Identität der bürgerlichen und politischen Stände war der Ausdruck der Identität der bürgerlichen und politischen Gesellschaft. Diese Identität ist verschwunden. Hegel setzt sie als verschwunden voraus. »Die Identität der bürgerlichen und politischen Stände«, wenn sie die Wahrheit ausdrückte, könnte also nur mehr ein Ausdruck der Trennung der bürgerlichen und politischen Gesellschaft sein! oder vielmehr: nur die Trennung der bürgerlichen und politischen Stände |Bei Marx: Gesellschaft| drückt das wahre Verhältnis der bürgerlichen und politischen modernen Gesellschaft aus.

    |276| Zweitens: Hegel handelt hier von politischen Ständen in einem ganz anderen Sinne, als jene politischen Stände des Mittelalters waren, von denen die Identität mit den Ständen der bürgerlichen Gesellschaft ausgesagt wird.

    Ihr ganzes Dasein war politisch; ihr Dasein war das Dasein des Staats. Ihre gesetzgebende Tätigkeit, ihre Steuerbewilligung für das Reich war nur ein besonderer Ausfluß ihrer allgemeinen politischen Bedeutung und Wirksamkeit. Ihr Stand war ihr Staat. Das Verhältnis zum Reich war nur ein Transaktionsverhältnis dieser verschiedenen Staaten mit der Nationalität, denn der politische Staat im Unterschied von der bürgerlichen Gesellschaft war nichts andres als die Repräsentation der Nationalität. Die Nationalität war der point d’honneur |der Ehrenpunkt|, der hauptsächliche politische Sinn dieser verschiedenen Korporationen etc., und nur auf sie bezogen sich die Steuern etc. Das war das Verhältnis der gesetzgebenden Stände zum Reich. Ähnlich verhielten sich die Stände innerhalb der besonderen Fürstentümer. Das Fürstentum, die Souveränität war hier ein besonderer Stand, der gewisse Privilegien hatte, aber ebensosehr von den Privilegien der anderen Stände geniert wurde. (Bei den Griechen war die bürgerliche Gesellschaft Sklave der politischen.) Die allgemeine gesetzgebende Wirksamkeit der Stände der bürgerlichen Gesellschaft war keineswegs ein Kommen des Privatstandes zu einer politischen Bedeutung und Wirksamkeit, sondern vielmehr ein bloßer Ausfluß ihrer wirklichen und allgemeinen politischen Bedeutung und Wirksamkeit. Ihr Auftreten als gesetzgebende Macht war bloß ein Komplement ihrer souveränen und regierenden (exekutiven) Macht; es war vielmehr ihr Kommen zu der ganz allgemeinen Angelegenheit als einer Privatsache, ihr Kommen zur Souveränität als einem Privatstand. Die Stände der bürgerlichen Gesellschaft waren im Mittelalter als solche Stände zugleich gesetzgebend, weil sie keine Privatstände oder weil die Privatstände politische Stände waren. Die mittelalterlichen Stände kamen als politisch-ständisches Element zu keiner neuen Bestimmung. Sie wurden nicht politisch-ständisch, weil sie teil an der Gesetzgebung hatten; sondern sie hatten teil an der Gesetzgebung, weil sie politisch-ständisch waren. Was hat das nun mit Hegels Privatstand gemein, der als gesetzgebendes Element zu einer politischen Bravourarie, zu einem ekstatischen Zustand, zu einer aparten, frappanten, ausnahmsweisen politischen Bedeutung und Wirksamkeit kommt?

    In dieser Entwicklung findet man alle Widersprüche der Hegelschen Darstellung zusammen.

    1. hat er die Trennung der bürgerlichen Gesellschaft und des politischen |277| Staats (einen modernen Zustand) vorausgesetzt und als notwendiges Moment der Idee entwickelt, als absolute Vernunftwahrheit. Er hat den politischen Staat in seiner modernen Gestalt der Trennung der verschiedenen Gewalten dargestellt. Er hat dem wirklichen handelnden Staat die Bürokratie zu seinem Leib gegeben und sie als den wissenden Geist dem Materialismus der bürgerlichen Gesellschaft supraordiniert. Er hat das an und für sich seiende Allgemeine des Staats dem besonderen Interesse und dem Bedürfnis der bürgerlichen Gesellschaft gegenübergestellt. Mit einem Wort: Er stellt überall den Konflikt der bürgerlichen Gesellschaft und des Staates dar.

    2. Hegel stellt die bürgerliche Gesellschaft als Privatstand dem politischen Staat gegenüber.

    3. Er bezeichnet das ständische Element der gesetzgebenden Gewalt als bloßen politischen Formalismus der bürgerlichen Gesellschaft. Er bezeichnet es als ein Reflexionsverhältnis der bürgerlichen Gesellschaft auf den Staat und als ein Reflexionsverhältnis, was das Wesen des Staates nicht alteriert. Ein Reflexionsverhältnis ist auch die höchste Identität zwischen wesentlich Verschiedenen.

    Andrerseits will Hegel:

    1. die bürgerliche Gesellschaft bei ihrer Selbstkonstituierung als gesetzgebendes Element weder als bloße, ungeschiedene Masse, noch als eine in ihre Atome aufgelöste Menge erscheinen lassen. Er will keine Trennung des bürgerlichen und politischen Lebens.

    2. Er vergißt, daß es sich um ein Reflexionsverhältnis handelt, und macht die bürgerlichen Stände als solche zu politischen Ständen, aber wieder nur nach der Seite der gesetzgebenden Gewalt hin, so daß ihre Wirksamkeit selbst der Beweis der Trennung ist.

    Er macht das ständische Element zum Ausdruck der Trennung, aber zugleich soll es der Repräsentant einer Identität sein, die nicht vorhanden ist. Hegel weiß die Trennung der bürgerlichen Gesellschaft und des politischen Staats, aber er will, daß innerhalb des Staats die Einheit desselben ausrückt sei, und zwar soll dies dergestalt bewerkstelligt werden, daß die Stände der bürgerlichen Gesellschaft zugleich als solche das ständische Element der gesetzgebenden Gesellschaft bilden. (Cf. XIV, x.)

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