§ 1
Die Philosophie entbehrt des Vorteils, der den anderen Wissenschaften zugute kommt, ihre Gegenstände als unmittelbar von der Vorstellung zugegeben sowie die Methode des Erkennens für Anfang und Fortgang als bereits angenommen voraussetzen zu können. Sie hat zwar ihre Gegenstände zunächst mit der Religion gemeinschaftlich. Beide haben die Wahrheit zu ihrem Gegenstande, und zwar im höchsten Sinne – in dem, daß Gott die Wahrheit und er allein die Wahrheit ist. Beide handeln dann ferner von dem Gebiete des Endlichen, von der Natur und dem menschlichen Geiste, deren Beziehung aufeinander und auf Gott als auf ihre Wahrheit. Die Philosophie kann daher wohl eine Bekanntschaft mit ihren Gegenständen, ja sie muß eine solche, wie ohnehin ein Interesse an denselben voraussetzen, – schon darum, weil das Bewußtsein sich der Zeit nach Vorstellungen von Gegenständen früher als Begriffe von denselben macht, der denkende Geist sogar nur durchs Vorstellen hindurch und auf dasselbe sich wendend zum denkenden Erkennen und Begreifen fortgeht.
Aber bei dem denkenden Betrachten gibt’s sich bald kund, daß dasselbe die Forderung in sich schließt, die Notwendigkeit seines Inhalts zu zeigen, sowohl das Sein schon als die Bestimmungen seiner Gegenstände zu beweisen. Jene Bekanntschaft mit diesen erscheint so als unzureichend, und Voraussetzungen und Versicherungen zu machen oder gelten zu lassen als unzulässig. Die Schwierigkeit, einen Anfang zu machen, tritt aber zugleich damit ein, da ein Anfang als ein Unmittelbares seine Voraussetzung macht oder vielmehr selbst eine solche ist.
§ 2
Die Philosophie kann zunächst im allgemeinen als denkende Betrachtung der Gegenstände bestimmt werden. Wenn es aber richtig ist (und es wird wohl richtig sein), daß der Mensch durchs Denken sich vom Tiere unterscheidet, so ist alles Menschliche dadurch und allein dadurch menschlich, daß es durch das Denken bewirkt wird. Indem jedoch die Philosophie eine eigentümliche Weise des Denkens ist, ein Weise, wodurch es Erkennen und begreifendes Erkennen wird, so wird ihr Denken auch eine Verschiedenheit haben von dem in allem Menschlichen tätigen, ja die Menschlichkeit des Menschlichen bewirkenden Denken, so sehr es identisch mit demselben, an sich nur ein Denken ist. Dieser Unterschied knüpft sich daran, daß der durchs Denken begründete, menschliche Gehalt des Bewußtseins zunächst nicht in Form des Gedankens erscheint, sondern als Gefühl, Anschauung, Vorstellung, – Formen, die von dem Denken als Form zu unterscheiden sind.
Es ist ein altes Vorurteil, ein trivial gewordener Satz, daß der Mensch vom Tiere sich durchs Denken unterscheide; es kann trivial, aber es müßte auch sonderbar scheinen, wenn es Bedürfnis wäre, an solchen alten Glauben zu erinnern. Für ein Bedürfnis aber kann dies gehalten werden bei dem Vorurteil jetziger Zeit, welche Gefühl und Denken so voneinander trennt, daß sie sich entgegengesetzt, selbst so feindselig sein sollen, daß das Gefühl, insbesondere das religiöse, durch das Denken verunreinigt, verkehrt, ja etwa gar vernichtet werde und die Religion und Religiosität wesentlich nicht im Denken ihre Wurzel und Stelle habe. Bei solcher Trennung wird vergessen, daß nur der Mensch der Religion fähig ist, das Tier aber keine Religion hat, so wenig als ihm Recht und Moralität zukommt. Wenn jene Trennung der Religion vom Denken behauptet wird, so pflegt das Denken vorzuschweben, welches als Nachdenken bezeichnet werden kann, – das reflektierende Denken, welches Gedanken als solche zu seinem Inhalte hat und zum Bewußtsein bringt. Die Nachlässigkeit, den in Rücksicht des Denkens von der Philosophie bestimmt angegebenen Unterschied zu kennen und zu beachten, ist es, welche die rohesten Vorstellungen und Vorwürfe gegen die Philosophie hervorbringt. Indem nur dem Menschen Religion, Recht und Sittlichkeit zukommt, und zwar nur deswegen, weil er denkendes Wesen ist, so ist in dem Religiösen, Rechtlichen und Sittlichen – es sei Gefühl und Glauben oder Vorstellung – das Denken überhaupt nicht untätig gewesen; die Tätigkeit und die Produktionen desselben sind darin gegenwärtig und enthalten. Allein es ist verschieden, solche vom Denken bestimmte und durchdrungene Gefühle und Vorstellungen – und Gedanken darüber zu haben. Die durchs Nachdenken erzeugten Gedanken über jene Weisen des Bewußtseins sind das, worunter Reflexion, Räsonnement und dergleichen, dann auch die Philosophie begriffen ist. Es ist dabei geschehen, und noch öfters hat der Mißverstand obgewaltet, daß solches Nachdenken als die Bedingung, ja als der einzige Weg behauptet worden, auf welchem wir zur Vorstellung und zum Fürwahrhalten des Ewigen und Wahren gelangten. So sind z. B. die (jetzt mehr vormaligen) metaphysischen Beweise vom Dasein Gottes dafür ausgegeben worden, daß oder als ob durch ihre Kenntnis und die Überzeugung von ihnen der Glaube und die Überzeugung vom Dasein Gottes wesentlich und allein bewirkt werden könne. Dergleichen Behauptung käme mit der überein, daß wir nicht eher essen könnten, als bis wir uns die Kenntnis der chemischen, botanischen oder zoologischen Bestimmungen der Nahrungsmittel erworben, und wir mit der Verdauung warten müßten, bis wir das Studium der Anatomie und Physiologie absolviert hätten. Wenn dem so wäre, würden diese Wissenschaften in ihrem Felde, wie die Philosophie in dem ihrigen, freilich sehr an Nützlichkeit gewinnen, ja ihre Nützlichkeit wäre zur absoluten und allgemeinen Unentbehrlichkeit gesteigert; vielmehr aber würden sie alle, statt unentbehrlich zu sein, gar nicht existieren.
§ 3
Der Inhalt, der unser Bewußtsein erfüllt, von welcher Art er sei, macht die Bestimmtheit der Gefühle, Anschauungen, Bilder, Vorstellungen, der Zwecke, Pflichten usf. und der Gedanken und Begriffe aus. Gefühl, Anschauung, Bild usf. sind insofern die Formen solchen Inhalts, welcher ein und derselbe bleibt, ob er gefühlt, angeschaut, vorgestellt, gewollt und ob er nur gefühlt oder aber mit Vermischung von Gedanken gefühlt, angeschaut usf. oder ganz unvermischt gedacht wird. In irgendeiner dieser Formen oder in der Vermischung mehrerer ist der Inhalt Gegenstand des Bewußtseins. In dieser Gegenständlichkeit schlagen sich aber auch die Bestimmtheiten dieser Formen zum Inhalte; so daß nach jeder dieser Formen ein besonderer Gegenstand zu entstehen scheint und, was an sich dasselbe ist, als ein verschiedener Inhalt aussehen kann.
Indem die Bestimmtheiten des Gefühls, der Anschauung, des Begehrens, des Willens usf., insofern von ihnen gewußt wird, überhaupt Vorstellungen genannt werden, so kann im allgemeinen gesagt werden, daß die Philosophie Gedanken, Kategorien, aber näher Begriffe an die Stelle der Vorstellungen setzt. Vorstellungen überhaupt können als Metaphern der Gedanken und Begriffe angesehen werden. Damit aber, daß man Vorstellungen hat, kennt man noch nicht deren Bedeutung für das Denken, noch nicht deren Gedanken und Begriffe. Umgekehrt ist es auch zweierlei, Gedanken und Begriffe zu haben, und zu wissen, welches die ihnen entsprechenden Vorstellungen, Anschauungen, Gefühle sind. – Eine Seite dessen, was man die Unverständlichkeit der Philosophie nennt, bezieht sich hierauf. Die Schwierigkeit liegt einesteils in einer Unfähigkeit, die an sich nur Ungewohntheit ist, abstrakt zu denken, d. h. reine Gedanken festzuhalten und in ihnen sich zu bewegen. In unserem gewöhnlichen Bewußtsein sind die Gedanken mit sinnlichem und geistigem geläufigen Stoffe angetan und vereinigt, und im Nachdenken, Reflektieren und Räsonieren vermischen wir die Gefühle, Anschauungen, Vorstellungen mit Gedanken (in jedem Satze von ganz sinnlichem Inhalte: „dies Blatt ist grün“, sind schon Kategorien, Sein, Einzelheit eingemischt). Ein anderes aber ist, die Gedanken selbst unvermischt zum Gegenstande zu machen. – Der andere Teil der Unverständlichkeit ist die Ungeduld, das in der Weise der Vorstellung vor sich haben zu wollen, was als Gedanke und Begriff im Bewußtsein ist. Es kommt der Ausdruck vor, man wisse nicht, was man sich bei einem Begriffe, der gefaßt worden, denken solle; bei einem Begriffe ist weiter nichts zu denken als der Begriff selbst. Der Sinn jenes Ausdrucks aber ist eine Sehnsucht nach einer bereits bekannten, geläufigen Vorstellung; es ist dem Bewußtsein, als ob ihm mit der Weise der Vorstellung der Boden entzogen wäre, auf welchem es sonst seinen festen und heimischen Stand hat. Wenn es sich in die reine Region der Begriffe versetzt findet, weiß es nicht, wo es in der Welt ist. – Am verständlichsten werden daher Schriftsteller, Prediger, Redner usf. gefunden, die ihren Lesern oder Zuhörern Dinge vorsagen, welche diese bereits auswendig wissen, die ihnen geläufig sind und die sich von selbst verstehen.
§ 4
In Beziehung auf unser gemeines Bewußtsein zunächst hätte die Philosophie das Bedürfnis ihrer eigentümlichen Erkenntnisweise darzutun oder gar zu erwecken. In Beziehung auf die Gegenstände der Religion aber, auf die Wahrheit überhaupt, hätte sie die Fähigkeit zu erweisen, dieselben von sich aus zu erkennen; in Beziehung auf eine zum Vorschein kommende Verschiedenheit von den religiösen Vorstellungen hätte sie ihre abweichenden Bestimmungen zu rechtfertigen.
§ 5
Zum Behufe einer vorläufigen Verständigung über den angegebenen Unterschied und über die damit zusammenhängende Einsicht, daß der wahrhafte Inhalt unseres Bewußtseins in dem Übersetzen desselben in die Form des Gedankens und Begriffs erhalten, ja erst in sein eigentümliches Licht gesetzt wird, kann an ein anderes altes Vorurteil erinnert werden, daß nämlich, um zu erfahren, was an den Gegenständen und Begebenheiten, auch Gefühlen, Anschauungen, Meinungen, Vorstellungen usf. Wahres sei, Nachdenken erforderlich sei. Nachdenken aber tut wenigstens dies auf allen Fall, die Gefühle, Vorstellungen usf. in Gedanken zu verwandeln.
Insofern es nur das Denken ist, was die Philosophie zur eigentümlichen Form ihres Geschäftes in Anspruch nimmt, jeder Mensch aber von Natur denken kann, so tritt vermöge dieser Abstraktion, welche den § 3 angegebenen Unterschied wegläßt, das Gegenteil von dem ein, was vorhin als Beschwernis über die Unverständlichkeit der Philosophie erwähnt worden ist. Diese Wissenschaft erfährt häufig die Verachtung, daß auch solche, die sich mit ihr nicht bemüht haben, die Einbildung aussprechen, sie verstehen von Haus aus, was es mit der Philosophie für eine Bewandtnis habe, und seien fähig, wie sie so in einer gewöhnlichen Bildung, insbesondere von religiösen Gefühlen aus, gehen und stehen, zu philosophieren und über sie zu urteilen. Man gibt zu, daß man die anderen Wissenschaften studiert haben müsse, um sie zu kennen, und daß man erst vermöge einer solchen Kenntnis berechtigt sei, ein Urteil über sie zu haben. Man gibt zu, daß, um einen Schuh zu verfertigen, man dies gelernt und geübt haben müsse, obgleich jeder an seinem Fuße den Maßstab dafür und Hände und in ihnen die natürliche Geschicklichkeit zu dem erforderlichen Geschäfte besitze. Nur zum Philosophieren selbst soll dergleichen Studium, Lernen und Bemühung nicht erforderlich sein. – Diese bequeme Meinung hat in den neuesten Zeiten ihre Bestätigung durch die Lehre vom unmittelbaren Wissen, Wissen durch Anschauen, erhalten.
§ 6
Von der andern Seite ist es ebenso wichtig, daß die Philosophie darüber verständigt sei, daß ihr Inhalt kein anderer ist als der im Gebiete des lebendigen Geistes ursprünglich hervorgebrachte und sich hervorbringende, zur Welt, äußeren und inneren Welt des Bewußtseins gemachte Gehalt, – daß ihr Inhalt die Wirklichkeit ist. Das nächste Bewußtsein dieses Inhalts nennen wir Erfahrung. Eine sinnige Betrachtung der Welt unterscheidet schon, was von dem weiten Reiche des äußeren und inneren Daseins nur Erscheinung, vorübergehend und bedeutungslos ist, und was in sich wahrhaft den Namen der Wirklichkeit verdient. Indem die Philosophie von anderem Bewußtwerden dieses einen und desselben Gehalts nur nach der Form unterschieden ist, so ist ihre Übereinstimmung mit der Wirklichkeit und Erfahrung notwendig. Ja, diese Übereinstimmung kann für einen wenigstens äußeren Prüfstein der Wahrheit einer Philosophie angesehen werden, so wie es für den höchsten Endzweck der Wissenschaft anzusehen ist, durch die Erkenntnis dieser Übereinstimmung die Versöhnung der selbstbewußten Vernunft mit der seienden Vernunft, mit der Wirklichkeit hervorzubringen.
In der Vorrede zu meiner Philosophie des Rechts befinden sich die Sätze:
Was vernünftig ist, das ist wirklich, und was wirklich ist, das ist vernünftig.
Diese einfachen Sätze haben manchen auffallend geschienen und Anfeindung erfahren, und zwar selbst von solchen, welche Philosophie und wohl ohnehin Religion zu besitzen nicht in Abrede sein wollen. Die Religion wird es unnötig sein in dieser Beziehung anzuführen, da ihre Lehren von der göttlichen Weltregierung diese Sätze zu bestimmt aussprechen. Was aber den philosophischen Sinn betrifft, so ist so viel Bildung vorauszusetzen, daß man wisse, nicht nur daß Gott wirklich, – daß er das Wirklichste, daß er allein wahrhaft wirklich ist, sondern auch, in Ansehung des Formellen, daß überhaupt das Dasein zum Teil Erscheinung und nur zum Teil Wirklichkeit ist. Im gemeinen Leben nennt man etwa jeden Einfall, den Irrtum, das Böse und was auf diese Seite gehört, sowie jede noch so verkümmerte und vergängliche Existenz zufälligerweise eine Wirklichkeit. Aber auch schon einem gewöhnlichen Gefühl wird eine zufällige Existenz nicht den emphatischen Namen eines Wirklichen verdienen; – das Zufällige ist eine Existenz, die keinen größeren Wert als den eines Möglichen hat, die so gut nicht sein kann, als sie ist. Wenn aber ich von Wirklichkeit gesprochen habe, so wäre von selbst daran zu denken, in welchem Sinne ich diesen Ausdruck gebrauche, da ich in einer ausführlichen Logik auch die Wirklichkeit abgehandelt und sie nicht nur sogleich von dem Zufälligen, was doch auch Existenz hat, sondern näher von Dasein, Existenz und anderen Bestimmungen genau unterschieden habe.1 – Der Wirklichkeit des Vernünftigen stellt sich schon die Vorstellung entgegen, sowohl daß die Ideen, Ideale weiter nichts als Chimären und die Philosophie ein System von solchen Hirngespinsten sei, als umgekehrt, daß die Ideen und Ideale etwas viel zu Vortreffliches seien, um Wirklichkeit zu haben, oder ebenso etwas zu Ohnmächtiges, um sich solche zu verschaffen. Aber die Abtrennung der Wirklichkeit von der Idee ist besonders bei dem Verstande beliebt, der die Träume seiner Abstraktionen für etwas Wahrhaftes hält und auf das Sollen, das er vornehmlich auch im politischen Felde gern vorschreibt, eitel ist, als ob die Welt auf ihn gewartet hätte, um zu erfahren, wie sie sein solle, aber nicht sei; wäre sie, wie sie sein soll, wo bliebe die Altklugheit seines Sollens? Wenn er sich mit dem Sollen gegen triviale, äußerliche und vergängliche Gegenstände, Einrichtungen, Zustände usf. wendet, die etwa auch für eine gewisse Zeit, für besondere Kreise eine große relative Wichtigkeit haben mögen, so mag er wohl recht haben und in solchem Falle vieles finden, was allgemeinen richtigen Bestimmungen nicht entspricht; wer wäre nicht so klug, um in seiner Umgebung vieles zu sehen, was in der Tat nicht so ist, wie es sein soll? Aber diese Klugheit hat unrecht, sich einzubilden, mit solchen Gegenständen und deren Sollen sich innerhalb der Interessen der philosophischen Wissenschaft zu befinden. Diese hat es nur mit der Idee zu tun, welche nicht so ohnmächtig ist, um nur zu sollen und nicht wirklich zu sein, und damit mit einer Wirklichkeit, an welcher jene Gegenstände, Einrichtungen, Zustände usf. nur die oberflächliche Außenseite sind.
§ 7
Indem das Nachdenken überhaupt zunächst das Prinzip (auch im Sinne des Anfangs) der Philosophie enthält und nachdem es in seiner Selbständigkeit wieder in neueren Zeiten erblüht ist (nach den Zeiten der lutherischen Reformation), so ist, indem es sich gleich anfangs nicht bloß abstrakt wie in den philosophierenden Anfängen der Griechen gehalten, sondern sich zugleich auf den maßlos scheinenden Stoff der Erscheinungswelt geworfen hat, der Name Philosophie allem demjenigen Wissen gegeben worden, welches sich mit der Erkenntnis des festen Maßes und Allgemeinen in dem Meere der empirischen Einzelheiten und des Notwendigen, der Gesetze in der scheinbaren Unordnung der unendlichen Menge des Zufälligen beschäftigt und damit zugleich seinen Inhalt aus dem eigenen Anschauen und Wahrnehmen des Äußeren und Inneren, aus der präsenten Natur wie aus dem präsenten Geiste und der Brust des Menschen genommen hat.
Das Prinzip der Erfahrung enthält die unendlich wichtige Bestimmung, daß für das Annehmen und Fürwahrhalten eines Inhalts der Mensch selbst dabei sein müsse, bestimmter, daß er solchen Inhalt mit der Gewißheit seiner selbst in Einigkeit und vereinigt finde. Er muß selbst dabei sein, sei es nur mit seinen äußerlichen Sinnen oder aber mit seinem tieferen Geiste, seinem wesentlichen Selbstbewußtsein. – Es ist dies Prinzip dasselbe, was heutigentags Glauben, unmittelbares Wissen, die Offenbarung im Äußeren und vornehmlich im eigenen Innern genannt worden ist. Wir heißen jene Wissenschaften, welche Philosophie genannt worden sind, empirische Wissenschaften von dem Ausgangspunkte, den sie nehmen. Aber das Wesentliche, das sie bezwecken und hervorschaffen, sind Gesetze, allgemeine Sätze, eine Theorie; die Gedanken des Vorhandenen. So ist die Newtonische Physik Naturphilosophie genannt worden, wogegen z. B. Hugo Grotius durch Zusammenstellung der geschichtlichen Benehmungen der Völker gegeneinander und mit der Unterstützung eines gewöhnlichen Räsonnements allgemeine Grundsätze, eine Theorie aufgestellt hat, welche Philosophie des äußeren Staatsrechts genannt werden kann. – Noch hat der Name Philosophie bei den Engländern allgemein diese Bestimmung, Newton hat fortdauernd den Ruhm des größten Philosophen; bis in die Preiskurante der Instrumentenmacher herab heißen diejenigen Instrumente, die nicht unter eine besondere Rubrik magnetischen, elektrischen Apparats gebracht werden, die Thermometer, Barometer usf. philosophische Instrumente; freilich sollte nicht ein Zusammensetzung von Holz, Eisen usf., sondern allein das Denken das Instrument der Philosophie genannt werden.2 – So heißt insbesondere die den neuesten Zeiten zu verdankende Wissenschaft der politischen Ökonomie auch Philosophie, was wir rationelle Staatswirtschaft oder etwa Staatswirtschaft der Intelligenz zu nennen pflegen.3
§ 8
So befriedigend zunächst diese Erkenntnis in ihrem Felde ist, so zeigt sich fürs erste noch ein anderer Kreis von Gegenständen, die darin nicht befaßt sind, – Freiheit, Geist, Gott. Sie sind auf jenem Boden nicht darum nicht zu finden, weil sie der Erfahrung nicht angehören sollten – sie werden zwar nicht sinnlich erfahren, aber was im Bewußtsein überhaupt ist, wird erfahren; dies ist sogar ein tautologischer Satz -, sondern weil diese Gegenstände sich sogleich ihrem Inhalte nach als unendlich darbieten.
Es ist ein alter Satz, der dem Aristoteles fälschlicherweise so zugeschrieben zu werden pflegt, als ob damit der Standpunkt seiner Philosophie ausgedrückt sein sollte: „nihil est in intellectu, quod non fuerit in sensu“, – es ist nichts im Denken, was nicht im Sinne, in der Erfahrung gewesen. Es ist nur für einen Mißverstand zu achten, wenn die spekulative Philosophie diesen Satz nicht zugeben wollte. Aber umgekehrt wird sie ebenso behaupten: „nihil est in sensu, quod non fuerit in intellectu“, – in dem ganz allgemeinen Sinne, daß der νους und in tieferer Bestimmung der Geist die Ursache der Welt ist, und in dem näheren (s. § 2), daß das rechtliche, sittliche, religiöse Gefühl ein Gefühl und damit eine Erfahrung von solchem Inhalte ist, der seine Wurzel und seinen Sitz nur im Denken hat.
§ 9
Fürs andere verlangt die subjektive Vernunft der Form nach ihre weitere Befriedigung; diese Form ist die Notwendigkeit überhaupt (s. § 1). In jener wissenschaftlichen Weise ist teils das in ihr enthaltene Allgemeine, die Gattung usf. als für sich unbestimmt, mit dem Besonderen nicht für sich zusammenhängend, sondern beides einander äußerlich und zufällig, wie ebenso die verbundenen Besonderheiten für sich gegenseitig äußerlich und zufällig sind. Teils sind die Anfänge allenthalben Unmittelbarkeiten, Gefundenes, Voraussetzungen. In beidem geschieht der Form der Notwendigkeit nicht Genüge. Das Nachdenken, insofern es darauf gerichtet ist, diesem Bedürfnisse Genüge zu leisten, ist das eigentlich philosophische, das spekulative Denken. Als Nachdenken hiermit, das in seiner Gemeinsamkeit mit jenem ersten Nachdenken zugleich davon verschieden ist, hat es außer den gemeinsamen auch eigentümliche Formen, deren allgemeine der Begriff ist.
Das Verhältnis der spekulativen Wissenschaft zu den anderen Wissenschaften ist insofern nur dieses, daß jene den empirischen Inhalt der letzteren nicht etwa auf der Seite läßt, sondern ihn anerkennt und gebraucht, daß sie ebenso das Allgemeine dieser Wissenschaften, die Gesetze, die Gattungen usf. anerkennt und zu ihrem eigenen Inhalte verwendet, daß sie aber auch ferner in diese Kategorien andere einführt und geltend macht. Der Unterschied bezieht sich insofern allein auf diese Veränderung der Kategorien. Die spekulative Logik enthält die vorige Logik und Metaphysik, konserviert dieselben Gedankenformen, Gesetze und Gegenstände, aber sie zugleich mit weiteren Kategorien weiterbildend und umformend. Von dem Begriffe im spekulativen Sinne ist das, was gewöhnlich Begriff genannt worden ist, zu unterscheiden. In dem letzteren, einseitigen Sinne ist es, daß die Behauptung aufgestellt und tausend- und abertausendmal wiederholt und zum Vorurteile gemacht worden ist, daß das Unendliche nicht durch Begriffe gefaßt werden könne.
§ 10
Dieses Denken der philosophischen Erkenntnisweise bedarf es selbst, sowohl seiner Notwendigkeit nach gefaßt wie auch seiner Fähigkeit nach, die absoluten Gegenstände zu erkennen, gerechtfertigt zu werden. Eine solche Einsicht ist aber selbst philosophisches Erkennen, das daher nur innerhalb der Philosophie fällt. Eine vorläufige Explikation würde hiermit eine unphilosophische sein sollen und könnte nicht mehr sein als ein Gewebe von Voraussetzungen, Versicherungen und Räsonnements, – d. i. von zufälligen Behauptungen, denen mit demselben Rechte die entgegengesetzten gegenüber versichert werden könnten.
Ein Hauptgesichtspunkt der kritischen Philosophie ist, daß, ehe daran gegangen werde, Gott, das Wesen der Dinge usf. zu erkennen, das Erkenntnisvermögen selbst vorher zu untersuchen sei, ob es solches zu leisten fähig sei; man müsse das Instrument vorher kennenlernen, ehe man die Arbeit unternehme, die vermittels desselben zustande kommen soll; wenn es unzureichend sei, würde sonst alle Mühe vergebens verschwendet sein. – Dieser Gedanke hat so plausibel geschienen, daß er die größte Bewunderung und Zustimmung erweckt und das Erkennen aus seinem Interesse für die Gegenstände und dem Geschäfte mit denselben auf sich selbst, auf das Formelle, zurückgeführt hat. Will man sich jedoch nicht mit Worten täuschen, so ist leicht zu sehen, daß wohl andere Instrumente sich auf sonstige Weise etwa untersuchen und beurteilen lassen als durch das Vornehmen der eigentümlichen Arbeit, der sie bestimmt sind. Aber die Untersuchung des Erkennens kann nicht anders als erkennend geschehen; bei diesem sogenannten Werkzeuge heißt dasselbe untersuchen nichts anderes, als es erkennen. Erkennen wollen aber, ehe man erkenne, ist ebenso ungereimt als der weise Vorsatz jenes Scholastikus, schwimmen zu lernen, ehe er sich ins Wasser wage. Reinhold4 , der die Verworrenheit erkannt hat, die in solchem Beginnen herrscht, hat zur Abhilfe vorgeschlagen, vorläufig mit einem hypothetischen und problematischen Philosophieren anzufangen und in demselben, man weiß nicht wie, fortzumachen, bis sich weiterhin etwa ergebe, daß man auf solchem Wege zum Urwahren gelangt sei. Näher betrachtet liefe dieser Weg auf das Gewöhnliche hinaus, nämlich auf die Analyse einer empirischen Grundlage oder einer in eine Definition gebrachten vorläufigen Annahme. Es ist nicht zu verkennen, daß ein richtiges Bewußtsein darin liegt, den gewöhnlichen Gang der Voraussetzungen und Vorläufigkeiten für ein hypothetisches und problematisches Verfahren zu erklären. Aber die richtige Einsicht ändert die Beschaffenheit solchen Verfahrens nicht, sondern spricht das Unzureichende desselben sogleich aus.
§ 11
Näher kann das Bedürfnis der Philosophie dahin bestimmt werden, daß, indem der Geist als fühlend und anschauend Sinnliches, als Phantasie Bilder, als Wille Zwecke usf. zu Gegenständen hat, er im Gegensatze oder bloß im Unterschiede von diesen Formen seines Daseins und seiner Gegenstände auch seiner höchsten Innerlichkeit, dem Denken, Befriedigung verschaffe und das Denken zu seinem Gegenstande gewinne. So kommt er zu sich selbst, im tiefsten Sinne des Worts, denn sein Prinzip, seine unvermischte Selbstheit ist das Denken. In diesem seinem Geschäfte aber geschieht es, daß das Denken sich in Widersprüche verwickelt, d. i. sich in die feste Nichtidentität der Gedanken verliert, somit sich selbst nicht erreicht, vielmehr in seinem Gegenteil befangen bleibt. Das höhere Bedürfnis geht gegen dies Resultat des nur verständigen Denkens und ist darin begründet, daß das Denken nicht von sich läßt, sich auch in diesem bewußten Verluste seines Beisichseins getreu bleibt, „auf daß es überwinde“, im Denken selbst die Auflösung seiner eigenen Widersprüche vollbringe.
Die Einsicht, daß die Natur des Denkens selbst die Dialektik ist, daß es als Verstand in das Negative seiner selbst, in den Widerspruch geraten muß, macht eine Hauptseite der Logik aus. Das Denken, verzweifelnd, aus sich auch die Auflösung des Widerspruchs, in den es sich selbst gesetzt, leisten zu können, kehrt zu den Auflösungen und Beruhigungen zurück, welche dem Geiste in anderen seiner Weisen und Formen zuteil geworden sind. Das Denken hätte jedoch bei dieser Rückkehr nicht nötig, in die Misologie zu verfallen, von welcher Platon bereits die Erfahrung vor sich gehabt hat, und sich polemisch gegen sich selbst zu benehmen, wie dies in der Behauptung des sogenannten unmittelbaren Wissens als der ausschließenden Form des Bewußtseins der Wahrheit geschieht.
§ 12
Die aus dem genannten Bedürfnisse hervorgehende Entstehung der Philosophie hat die Erfahrung, das unmittelbare und räsonierende Bewußtsein, zum Ausgangspunkte. Dadurch als einen Reiz erregt, benimmt sich das Denken wesentlich so, daß es über das natürliche, sinnliche und räsonierende Bewußtsein sich erhebt in das unvermischte Element seiner selbst und sich so zunächst ein sich entfernendes, negatives Verhältnis zu jenem Anfange gibt. Es findet so in sich, in der Idee des allgemeinen Wesens dieser Erscheinungen, zunächst seine Befriedigung; diese Idee (das Absolute, Gott) kann mehr oder weniger abstrakt sein. Umgekehrt bringen die Erfahrungswissenschaften den Reiz mit sich, die Form zu besiegen, in welcher der Reichtum ihres Inhalts als ein nur Unmittelbares und Gefundenes, nebeneinander gestelltes Vielfaches, daher überhaupt Zufälliges geboten wird, und diesen Inhalt zur Notwendigkeit zu erheben, – dieser Reiz reißt das Denken aus jener Allgemeinheit und der an sich gewährten Befriedigung heraus und treibt es zur Entwicklung von sich aus. Diese ist einerseits nur ein Aufnehmen des Inhalts und seiner vorgelegten Bestimmungen und gibt demselben zugleich andererseits die Gestalt, frei im Sinne des ursprünglichen Denkens nur nach der Notwendigkeit der Sache selbst hervorzugehen.
Von dem Verhältnisse der Unmittelbarkeit und Vermittlung im Bewußtsein ist unten ausdrücklich und ausführlicher zu sprechen. Es ist hier nur vorläufig darauf aufmerksam zu machen, daß, wenn beide Momente auch als unterschieden erscheinen, keines von beiden fehlen kann und daß sie in unzertrennlicher Verbindung sind. – So enthält das Wissen von Gott, wie von allem Übersinnlichen überhaupt, wesentlich eine Erhebung über die sinnliche Empfindung oder Anschauung; es enthält damit ein negatives Verhalten gegen dies Erste, darin aber die Vermittlung. Denn Vermittlung ist ein Anfangen und ein Fortgegangensein zu einem Zweiten, so daß dies Zweite nur ist, insofern zu demselben von einem gegen dasselbe Anderen gekommen worden ist. Damit aber ist das Wissen von Gott gegen jene empirische Seite nicht weniger selbständig, ja es gibt sich seine Selbständigkeit wesentlich durch diese Negation und Erhebung. – Wenn die Vermittlung zur Bedingtheit gemacht und einseitig herausgehoben wird, so kann man sagen, aber es ist nicht viel damit gesagt, die Philosophie verdanke der Erfahrung (dem Aposteriorischen) ihre erste Entstehung – in der Tat ist das Denken wesentlich die Negation eines unmittelbar Vorhandenen -, so sehr als man das Essen den Nahrungsmitteln verdanke, denn ohne diese könnte man nicht essen; das Essen wird freilich in diesem Verhältnisse als undankbar vorgestellt, denn es ist das Verzehren desjenigen, dem es sich selbst verdanken soll. Das Denken ist in diesem Sinne nicht weniger undankbar. Die eigene aber, in sich reflektierte, daher in sich vermittelte Unmittelbarkeit des Denkens (das Apriorische) ist die Allgemeinheit, sein Beisichsein überhaupt; in ihr ist es befriedigt in sich, und insofern ist ihm die Gleichgültigkeit gegen die Besonderung, damit aber gegen seine Entwicklung, angestammt. Wie die Religion, ob entwickelter oder ungebildeter, zum wissenschaftlichen Bewußtsein ausgebildet oder im unbefangenen Glauben und Herzen gehalten, dieselbe intensive Natur der Befriedigung und Beseligung besitzt. Wenn das Denken bei der Allgemeinheit der Ideen stehenbleibt – wie [es] notwendig in den ersten Philosophien (z. B. dem Sein der eleatischen Schule, dem Werden Heraklits u. dgl.) der Fall ist -, wird ihm mit Recht Formalismus vorgeworfen; auch bei einer entwickelten Philosophie kann es geschehen, daß nur die abstrakten Sätze oder Bestimmungen, z. B. daß im Absoluten Alles Eins [ist], die Identität des Subjektiven und Objektiven, aufgefaßt und beim Besonderen nur dieselben wiederholt werden. In Beziehung auf die erste abstrakte Allgemeinheit des Denkens hat es einen richtigen und gründlichen Sinn, daß der Erfahrung die Entwicklung der Philosophie zu verdanken ist. Die empirischen Wissenschaften bleiben einerseits nicht bei dem Wahrnehmen der Einzelheiten der Erscheinung stehen, sondern denkend haben sie der Philosophie den Stoff entgegengearbeitet, indem sie die allgemeinen Bestimmungen, Gattungen und Gesetze finden; sie vorbereiten so jenen Inhalt des Besonderen dazu, in die Philosophie aufgenommen werden zu können. Andererseits enthalten sie damit die Nötigung für das Denken, selbst zu diesen konkreten Bestimmungen fortzugehen. Das Aufnehmen dieses Inhalts, in dem durch das Denken die noch anklebende Unmittelbarkeit und das Gegebensein aufgehoben wird, ist zugleich ein Entwickeln des Denkens aus sich selbst. Indem die Philosophie so ihre Entwicklung den empirischen Wissenschaften verdankt, gibt sie deren Inhalte die wesentlichste Gestalt der Freiheit (des Apriorischen) des Denkens und die Bewährung der Notwendigkeit, statt der Beglaubigung des Vorfindens und der erfahrenen Tatsache, daß die Tatsache zur Darstellung und Nachbildung der ursprünglichen und vollkommen selbständigen Tätigkeit des Denkens werde.
§ 13
In der eigentümlichen Gestalt äußerlicher Geschichte wird die Entstehung und Entwicklung der Philosophie als Geschichte dieser Wissenschaft vorgestellt. Diese Gestalt gibt den Entwicklungsstufen der Idee die Form von zufälliger Aufeinanderfolge und etwa von bloßer Verschiedenheit der Prinzipien und ihrer Ausführungen in ihren Philosophien. Der Werkmeister aber dieser Arbeit von Jahrtausenden ist der eine lebendige Geist, dessen denkende Natur es ist, das, was er ist, zu seinem Bewußtsein zu bringen und, indem dies so Gegenstand geworden, zugleich schon darüber erhoben und eine höhere Stufe in sich zu sein. Die Geschichte der Philosophie zeigt an den verschieden erscheinenden Philosophien teils nur eine Philosophie auf verschiedenen Ausbildungsstufen auf, teils daß die besonderen Prinzipien, deren eines einem System zugrunde lag, nur Zweige eines und desselben Ganzen sind. Die der Zeit nach letzte Philosophie ist das Resultat aller vorhergehenden Philosophien und muß daher die Prinzipien aller enthalten; sie ist darum, wenn sie anders Philosophie ist, die entfaltetste, reichste und konkreteste.
Bei dem Anschein der so vielen, verschiedenen Philosophien muß das Allgemeine und Besondere seiner eigentlichen Bestimmung nach unterschieden werden. Das Allgemeine, formell genommen und neben das Besondere gestellt, wird selbst auch zu etwas Besonderem. Solche Stellung würde bei Gegenständen des gemeinen Lebens von selbst als unangemessen und ungeschickt auffallen, wie wenn z. B. einer, der Obst verlangte, Kirschen, Birnen, Trauben usf. ausschlüge, weil sie Kirschen, Birnen, Trauben, nicht aber Obst seien. In Ansehung der Philosophie aber läßt man es sich zu, die Verschmähung derselben damit zu rechtfertigen, weil es so verschiedene Philosophien gebe und jede nur eine Philosophie, nicht die Philosophie sei, – als ob nicht auch die Kirschen Obst wären. Es geschieht auch, daß eine solche, deren Prinzip das Allgemeine ist, neben solche, deren Prinzip ein besonderes ist, ja sogar neben Lehren, die versichern, daß es gar keine Philosophie gebe, gestellt wird, in dem Sinne, daß beides nur verschiedene Ansichten der Philosophie seien, etwa wie wenn Licht und Finsternis nur zwei verschiedene Arten des Lichtes genannt würden.
§ 14
Dieselbe Entwicklung des Denkens, welche in der Geschichte der Philosophie dargestellt wird, wird in der Philosophie selbst dargestellt, aber befreit von jener geschichtlichen Äußerlichkeit, rein im Elemente des Denkens. Der freie und wahrhafte Gedanke ist in sich konkret, und so ist er Idee, und in seiner ganzen Allgemeinheit die Idee oder das Absolute. Die Wissenschaft desselben ist wesentlich System, weil das Wahre als konkret nur als sich in sich entfaltend und in Einheit zusammennehmend und -haltend, d. i. als Totalität ist und nur durch Unterscheidung und Bestimmung seiner Unterschiede die Notwendigkeit derselben und die Freiheit des Ganzen sein kann.
Ein Philosophieren ohne System kann nichts Wissenschaftliches sein; außerdem, daß solches Philosophieren für sich mehr eine subjektive Sinnesart ausdrückt, ist es seinem Inhalte nach zufällig. Ein Inhalt hat allein als Moment des Ganzen seine Rechtfertigung, außer demselben aber eine unbegründete Voraussetzung oder subjektive Gewißheit; viele philosophische Schriften beschränken sich darauf, auf solche Weise nur Gesinnungen und Meinungen auszusprechen. – Unter einem Systeme wird fälschlich eine Philosophie von einem beschränkten, von anderen unterschiedenen Prinzip verstanden; es ist im Gegenteil Prinzip wahrhafter Philosophie, alle besonderen Prinzipien in sich zu enthalten.
§ 15
Jeder der Teile der Philosophie ist ein philosophisches Ganzes, ein sich in sich selbst schließender Kreis, aber die philosophische Idee ist darin in einer besonderen Bestimmtheit oder Elemente. Der einzelne Kreis durchbricht darum, weil er in sich Totalität ist, auch die Schranke seines Elements und begründet eine weitere Sphäre; das Ganze stellt sich daher als ein Kreis von Kreisen dar, deren jeder ein notwendiges Moment ist, so daß das System ihrer eigentümlichen Elemente die ganze Idee ausmacht, die ebenso in jedem einzelnen erscheint.
§ 16
Als Enzyklopädie wird die Wissenschaft nicht in der ausführlichen Entwicklung ihrer Besonderung dargestellt, sondern ist auf die Anfänge und die Grundbegriffe der besonderen Wissenschaften zu beschränken.
Wieviel von den besonderen Teilen dazu gehöre, eine besondere Wissenschaft zu konstituieren, ist insoweit unbestimmt, als der Teil nicht nur ein vereinzeltes Moment, sondern selbst eine Totalität sein muß, um ein Wahres zu sein. Das Ganze der Philosophie macht daher wahrhaft eine Wissenschaft aus, aber sie kann auch als ein Ganzes von mehreren besonderen Wissenschaften angesehen werden. – Die philosophische Enzyklopädie unterscheidet sich von einer anderen, gewöhnlichen Enzyklopädie dadurch, daß diese etwa ein Aggregat der Wissenschaften sein soll, welche zufälliger- und empirischerweise aufgenommen und worunter auch solche sind, die nur den Namen von Wissenschaften tragen, sonst aber selbst eine bloße Sammlung von Kenntnissen sind. Die Einheit, in welche in solchem Aggregate die Wissenschaften zusammengebracht werden, ist, weil sie äußerlich aufgenommen sind, gleichfalls eine äußerliche, – eine Ordnung. Diese muß aus demselben Grunde, zudem da auch die Materialien zufälliger Natur sind, ein Versuch bleiben und immer unpassende Seiten zeigen. – Außerdem denn, daß die philosophische Enzyklopädie 1. bloße Aggregate von Kenntnissen – wie z. B. die Philologie zunächst erscheint – ausschließt, so auch ohnehin 2. solche, welche die bloße Willkür zu ihrem Grunde haben, wie z. B. die Heraldik; Wissenschaften der letzteren Art sind die durch und durch positiven. 3. Andere Wissenschaften werden auch positive genannt, welche jedoch einen rationellen Grund und Anfang haben. Dieser Bestandteil gehört der Philosophie an; die positive Seite aber bleibt ihnen eigentümlich. Das Positive der Wissenschaften ist von verschiedener Art. 1. Ihr an sich rationeller Anfang geht in das Zufällige dadurch über, daß sie das Allgemeine in die empirische Einzelheit und Wirklichkeit herunterzuführen haben. In diesem Felde der Veränderlichkeit und Zufälligkeit kann nicht der Begriff, sondern können nur Gründe geltend gemacht werden. Die Rechtswissenschaft z. B. oder das System der direkten und indirekten Abgaben erfordern letzte genaue Entscheidungen, die außer dem An-und-für-sich-Bestimmtsein des Begriffes liegen und daher eine Breite für die Bestimmung zulassen, die nach einem Grunde so und nach einem anderen anders gefaßt werden kann und keines sicheren Letzten fähig ist. Ebenso verläuft sich die Idee der Natur in ihrer Vereinzelung in Zufälligkeiten, und die Naturgeschichte, Erdbeschreibung, Medizin usf. gerät in Bestimmungen der Existenz, in Arten und Unterschiede, die von äußerlichem Zufall und vom Spiele, nicht durch Vernunft bestimmt sind. Auch die Geschichte gehört hierher, insofern die Idee ihr Wesen, deren Erscheinung aber in der Zufälligkeit und im Felde der Willkür ist. 2. Solche Wissenschaften sind auch insofern positiv, als sie ihre Bestimmungen nicht für endlich erkennen, noch den Übergang derselben und ihrer ganzen Sphäre in eine höhere aufzeigen, sondern sie für schlechthin geltend annehmen. Mit dieser Endlichkeit der Form, wie die erste die Endlichkeit des Stoffes ist, hängt 3. die des Erkentnisgrundes zusammen, welcher teils das Räsonnement, teils Gefühl, Glauben, Autorität anderer, überhaupt die Autorität der inneren oder äußeren Anschauung ist. Auch die Philosophie, welche sich auf Anthropologie, Tatsachen des Bewußtseins, innere Anschauung oder äußere Erfahrung gründen will, gehört hierher. [4.] Es kann noch sein, daß bloß die Form der wissenschaftlichen Darstellung empirisch ist, aber die sinnvolle Anschauung das, was nur Erscheinungen sind, so ordnet, wie die innere Folge des Begriffes ist. Es gehört zu solcher Empirie, daß durch die Entgegensetzung und Mannigfaltigkeit der zusammengestellten Erscheinungen die äußerlichen, zufälligen Umstände der Bedingungen sich aufheben, wodurch dann das Allgemeine vor den Sinn tritt. – Eine sinnige Experimentalphysik, Geschichte usf. wird auf diese Weise die rationelle Wissenschaft der Natur und der menschlichen Begebenheiten und Taten in einem äußerlichen, den Begriff abspiegelnden Bilde darstellen.
§ 17
Für den Anfang, den die Philosophie zu machen hat, scheint sie im allgemeinen ebenso mit einer subjektiven Voraussetzung wie die anderen Wissenschaften zu beginnen, nämlich einen besonderen Gegenstand, wie anderwärts Raum, Zahl usf., so hier das Denken zum Gegenstande des Denkens machen zu müssen. Allein es ist dies der freie Akt des Denkens, sich auf den Standpunkt zu stellen, wo es für sich selber ist und sich hiermit seinen Gegenstand selbst erzeugt und gibt. Ferner muß der Standpunkt, welcher so als unmittelbarer erscheint, innerhalb der Wissenschaft sich zum Resultate, und zwar zu ihrem letzten machen, in welchem sie ihren Anfang wieder erreicht und in sich zurückkehrt. Auf diese Weise zeigt sich die Philosophie als ein in sich zurückgehender Kreis, der keinen Anfang im Sinne anderer Wissenschaften hat, so daß der Anfang nur eine Beziehung auf das Subjekt, als welches sich entschließen will zu philosophieren, nicht aber auf die Wissenschaft als solche hat. – Oder, was dasselbe ist, der Begriff der Wissenschaft und somit der erste – und weil er der erste ist, enthält er die Trennung, daß das Denken Gegenstand für ein (gleichsam äußerliches) philosophierendes Subjekt ist – muß von der Wissenschaft selbst erfaßt werden. Dies ist sogar ihr einziger Zweck, Tun und Ziel, zum Begriffe ihres Begriffes und so zu ihrer Rückkehr und Befriedigung zu gelangen.
§ 18
Wie von einer Philosophie nicht eine vorläufige, allgemeine Vorstellung gegeben werden kann, denn nur das Ganze der Wissenschaft ist die Darstellung der Idee, so kann auch ihre Einteilung nur erst aus dieser begriffen werden; sie ist wie diese, aus der sie zu nehmen ist, etwas Antizipiertes. Die Idee aber erweist sich als das schlechthin mit sich identische Denken und dies zugleich als die Tätigkeit, sich selbst, um für sich zu sein, sich gegenüberzustellen und in diesem Anderen nur bei sich selbst zu sein. So zerfällt die Wissenschaft in die drei Teile: I. Die Logik, die Wissenschaft der Idee an und für sich, II. Die Naturphilosophie als die Wissenschaft der Idee in ihrem Anderssein, III. Die Philosophie des Geistes als der Idee, die aus ihrem Anderssein in sich zurückkehrt.
Oben § 15 ist bemerkt, daß die Unterschiede der besonderen philosophischen Wissenschaften nur Bestimmungen der Idee selbst sind und diese es nur ist, die sich in diesen verschiedenen Elementen darstellt. In der Natur ist es nicht ein Anderes als die Idee, welches erkannt würde, aber sie ist in der Form der Entäußerung, so wie im Geiste ebendieselbe als für sich seiend und an und für sich werdend. Eine solche Bestimmung, in der die Idee erscheint, ist zugleich ein fließendes Moment; daher ist die einzelne Wissenschaft ebensosehr dies, ihren Inhalt als seienden Gegenstand, als auch dies, unmittelbar darin seinen Übergang in seinen höheren Kreis zu erkennen. Die Vorstellung der Einteilung hat daher das Unrichtige, daß sie die besonderen Teile oder Wissenschaften nebeneinander hinstellt, als ob sie nur ruhende und in ihrer Unterscheidung substantielle, wie Arten, wären.
- Wissenschaft der Logik, 2. Buch, 3. Abschnitt: „Die Wirklichkeit“ ↩︎
- Auch das von Thomson herausgegebene Journal hat den Titel: Annalen der Philosophie oder Magazin der Chemie, Mineralogie, Mechanik, Naturhistorie, Landwirtschaft und Künste. [Thomas Thomson, Annals of Philosophy; or, Magazine of Chemistry, Mineralogy, Mechanics, Natural History, Agriculture, and the Arts, 16 Bde., London 1813-1820] – Man kann sich hieraus von selbst vorstellen, wie die Materien beschaffen sind, die hier philosophische heißen. – Unter den Anzeigen von neu erschienenen Büchern fand ich kürzlich in einer englischen Zeitung folgende: The Art of preserving the Hair on philosophical principles, neatly printed in post 8., price 7 sh. – Unter philosophischen Grundsätzen der Präservation der Haare sind wahrscheinlich chemische, physiologische und dgl. gemeint. ↩︎
- In dem Munde englischer Staatsmänner, in Beziehung auf die allgemeinen staatswirtschaftlichen Grundsätze kommt der Ausdruck philosophischer Grundsätze häufig vor, auch in öffentlichen Vorträgen. In der Parlamentssitzung von 1825 (2. Febr.) drückte sich Brougham bei Gelegenheit der Adresse, mit der die Rede vom Throne beantwortet werden sollte, so aus: „die eines Staatsmannes würdigen und philosophischen Grundsätze vom freien Handel – denn zweifelsohne sind sie philosophisch -, über deren Annahme Se. Majestät heute dem Parlament Glück gewünscht hat“. – Nicht aber nur dieses Oppositionsmitglied, sondern bei dem jährlichen Gastmahl, das (in demselben Monat) die Schiffseigner-Gesellschaft unter Vorsitz des ersten Ministers Earl Liverpool, zu seinen Seiten den Staatssekretär Canning und den General-Zahlmeister der Armee, Sir Charles Long, abhielt, sagte der Staatssekretär Canning in der Erwiderung auf die ihm gebrachte Gesundheit: „Eine Periode hat kürzlich begonnen, in der die Minister es in ihrer Gewalt hatten, auf die Staatsverwaltung dieses Landes die richtigen Maximen tiefer Philosophie anzuwenden.“ – Wie auch englische Philosophie von deutscher unterschieden sein möge, wenn anderwärts der Name Philosophie nur als ein Übername und Hohn oder als etwas Gehässiges gebraucht wird, so ist es immer erfreulich, ihn noch in dem Munde englischer Staatsminister geehrt zu sehen. ↩︎
- Karl Leonhard Reinhold, Beiträge zur leichtern Übersicht des Zustandes der Philosophie beim Anfange des 19. Jahrhunderts, Hamburg 1801 ↩︎