Welche begriffliche Entwicklung geht der Rechtsphilosophie voraus?

Die Rechtsphilosophie Hegels, die nicht nur das Recht im heute üblichen Sprachgebrauch abhandelt, fällt in den Systemteil “objektiver Geist” des Hegelschen Systems der Entfaltung des “Begriffs”. Ihm folgt der Systemteil “absoluter Geist”, in welchem die Kunst, Religion und Philosophie/Wissenschaft entwickelt werden. Vorhergehend sind die Systemteile “Logik” (“die Gedanken Gottes vor der Schöpfung”), “Naturphilosophie” und – aus dem Systemteil “Philosophie des Geistes” – der “subjektive Geist”.

Im “subjektiven Geist” wird die “Anthropologie”, die “Phänomenologie” bzw. das “Bewusstsein”, sowie der “Geist” begrifflich entwickelt. Im Systemteil “Geist” des Systemteils “subjektiver Geist” wird der “theoretische Geist”, der “praktische Geist” sowie der “freie Geist” entfaltet. Der “freie Geist” ist diejenige Struktur, die alle zuvorgehenden Stufen als neue Einheit “aufgehoben” in sich enthält, insbesondere den “theoretischen Geist” und den “praktischen Geist”, also “Intelligenz” und “Willen”.

Die folgenden letzten Abschnitte des “subjektiven Geistes” werden auch in der Einleitung der “Grundlinien der Philosophie des Rechts” verkürzt wieder gegeben.

§ 468 der Enzyklopädie: “Die Intelligenz, die als theoretische sich die unmittelbare Bestimmtheit aneignet, ist nach vollendeter Besitznahme nun in ihrem Eigentume; durch die letzte Negation der Unmittelbarkeit ist an sich gesetzt, daß für sie der Inhalt durch sie bestimmt ist. Das Denken, als der freie Begriff, ist nun auch dem Inhalte nach frei. Die Intelligenz, sich wissend als das Bestimmende des Inhalts, der ebenso der ihrige, als er als seiend bestimmt ist, ist Wille.”

§ 469 Enz.: “Der Geist als Wille weiß sich als sich in sich beschließend und sich aus sich erfüllend. Dies erfüllte Fürsichsein oder Einzelheit macht die Seite der Existenz oder Realität von der Idee des Geistes aus; als Wille tritt der Geist in Wirklichkeit, als Wissen ist er in dem Boden der Allgemeinheit des Begriffs. – Als sich selbst den Inhalt gebend, ist der Wille bei sich, frei überhaupt; dies ist sein bestimmter Begriff. – Seine Endlichkeit besteht in dessen Formalismus, daß sein durch sich Erfülltsein die abstrakte Bestimmtheit, die seinige überhaupt, mit der entwickelten Vernunft nicht identifiziert ist. Die Bestimmung des an sich seienden Willens ist, die Freiheit in dem formellen Willen zur Existenz zu bringen, und damit der Zweck des letzteren, sich mit seinem Begriffe zu erfüllen, d. i. die Freiheit zu seiner Bestimmtheit, zu seinem Inhalte und Zwecke wie zu seinem Dasein zu machen. Dieser Begriff, die Freiheit, ist wesentlich nur als Denken; der Weg des Willens, sich zum objektiven Geiste zu machen, ist, sich zum denkenden Willen zu erheben, – sich den Inhalt zu geben, den er nur als sich denkender haben kann.”

§ 475 Enz.: “Das Subjekt ist die Tätigkeit der Befriedigung der Triebe, der formellen Vernünftigkeit, nämlich der Übersetzung aus der Subjektivität des Inhalts, der insofern Zweck ist, in die Objektivität, in welcher es sich mit sich selbst zusammenschließt. Daß, insofern der Inhalt des Triebes als Sache von dieser seiner Tätigkeit unterschieden wird, die Sache, welche zustande gekommen ist, das Moment der subjektiven Einzelheit und deren Tätigkeit enthält, ist das Interesse. Es kommt daher nichts ohne Interesse zustande.”

§ 476 Enz.: “Der Wille als denkend und an sich frei unterscheidet sich selbst von der Besonderheit der Triebe und stellt sich als einfache Subjektivität des Denkens über deren mannigfaltigen Inhalt; so ist er reflektierender Wille.”

§ 477 Enz.: “Eine solche Besonderheit des Triebs ist auf diese Weise nicht mehr unmittelbar, sondern erst die seinige, indem er sich mit ihr zusammenschließt und sich dadurch bestimmte Einzelheit und Wirklichkeit gibt. Er ist auf dem Standpunkt, zwischen Neigungen zu wählen, und ist Willkür.”

§ 480 Enz.: “Die Glückseligkeit ist die nur vorgestellte, abstrakte Allgemeinheit des Inhalts, welche nur sein soll. Die Wahrheit aber der besonderen Bestimmtheit, welche ebensosehr ist als aufgehoben ist, und der abstrakten Einzelheit, der Willkür, welche sich in der Glückseligkeit ebensosehr einen Zweck gibt als nicht gibt, ist die allgemeine Bestimmtheit des Willens an ihm selbst, d. i. sein Selbstbestimmen selbst, die Freiheit. Die Willkür ist auf diese Weise der Wille nur als die reine Subjektivität, welche dadurch rein und konkret zugleich ist, daß sie zu ihrem Inhalt und Zweck nur jene unendliche Bestimmtheit, die Freiheit selbst, hat. In dieser Wahrheit seiner Selbstbestimmung, worin Begriff und Gegenstand identisch ist, ist der Wille wirklich freier Wille.”

§ 481 Enz.: “Der wirkliche freie Wille ist die Einheit des theoretischen und praktischen Geistes; freier Wille, der für sich als freier Wille ist, indem der Formalismus, die Zufälligkeit und Beschränktheit des bisherigen praktischen Inhalts sich aufgehoben hat. Durch das Aufheben der Vermittlung, die darin enthalten war, ist er die durch sich gesetzte unmittelbare Einzelheit, welche aber ebenso zur allgemeinen Bestimmung, der Freiheit selbst, gereinigt ist. Diese allgemeine Bestimmung hat der Wille als seinen Gegenstand und Zweck, indem er sich denkt, diesen seinen Begriff weiß, Wille als freie Intelligenz ist.”

§ 482 Enz.: “Der Geist, der sich als frei weiß und sich als diesen seinen Gegenstand will, d. i. sein Wesen zur Bestimmung und zum Zwecke hat, ist zunächst überhaupt der vernünftige Wille oder an sich, die Idee, darum nur der Begriff des absoluten Geistes. Als abstrakte Idee ist sie wieder nur im unmittelbaren Willen existierend, ist [sie] die Seite des Daseins der Vernunft, der einzelne Wille als Wissen jener seiner Bestimmung, die seinen Inhalt und Zweck ausmacht und deren nur formelle Tätigkeit er ist. Die Idee erscheint so nur im Willen, der ein endlicher, aber die Tätigkeit ist, sie zu entwickeln und ihren sich entfaltenden Inhalt als Dasein, welches als Dasein der Idee Wirklichkeit ist, zu setzen, – objektiver Geist.

Über keine Idee weiß man es so allgemein, daß sie unbestimmt, vieldeutig und der größten Mißverständnisse fähig und ihnen deswegen wirklich unterworfen ist als [über] die Idee der Freiheit, und keine ist mit so wenigem Bewußtsein geläufig. Indem der freie Geist der wirkliche Geist ist, so sind die Mißverständnisse über denselben so sehr von den ungeheuersten praktischen Folgen, als nichts anderes, wenn die Individuen und Völker den abstrakten Begriff der für sich seienden Freiheit einmal in ihre Vorstellung gefaßt haben, diese unbezwingliche Stärke hat, eben weil sie das eigene Wesen des Geistes, und zwar als seine Wirklichkeit selbst ist. Ganze Weltteile, Afrika und der Orient, haben diese Idee nie gehabt und haben sie noch nicht; die Griechen und Römer, Platon und Aristoteles, auch die Stoiker haben sie nicht gehabt; sie wußten im Gegenteil nur, daß der Mensch durch Geburt (als atheniensischer, spartanischer usf. Bürger) oder Charakterstärke, Bildung, durch Philosophie (der Weise ist auch als Sklave und in Ketten frei) wirklich frei sei. Diese Idee ist durch das Christentum in die Welt gekommen, nach welchem das Individuum als solches einen unendlichen Wert hat, indem es Gegenstand und Zweck der Liebe Gottes, dazu bestimmt ist, zu Gott als Geist sein absolutes Verhältnis, diesen Geist in sich wohnen zu haben, d. i. daß der Mensch an sich zur höchsten Freiheit bestimmt ist. Wenn in der Religion als solcher der Mensch das Verhältnis zum absoluten Geiste als sein Wesen weiß, so hat er weiterhin den göttlichen Geist auch als in die Sphäre der weltlichen Existenz tretend gegenwärtig, als die Substanz des Staats, der Familie usf. Diese Verhältnisse werden durch jenen Geist ebenso ausgebildet und ihm angemessen konstituiert, als dem Einzelnen durch solche Existenz die Gesinnung der Sittlichkeit inwohnend wird und er dann in dieser Sphäre der besonderen Existenz, des gegenwärtigen Empfindens und Wollens wirklich frei ist.
Wenn das Wissen von der Idee, d. i. von dem Wissen der Menschen, daß ihr Wesen, Zweck und Gegenstand die Freiheit ist, spekulativ ist, so ist diese Idee selbst als solche die Wirklichkeit der Menschen, nicht die sie darum haben, sondern [die] sie sind. Das Christentum hat es in seinen Anhängern zu ihrer Wirklichkeit gemacht, z. B. nicht Sklave zu sein; wenn sie zu Sklaven gemacht, wenn die Entscheidung über ihr Eigentum in das Belieben, nicht in Gesetze und Gerichte gelegt würde, so fänden sie die Substanz ihres Daseins verletzt. Es ist dies Wollen der Freiheit nicht mehr ein Trieb, der seine Befriedigung fordert, sondern der Charakter, – das zum trieblosen Sein gewordene geistige Bewußtsein. – Aber diese Freiheit, die den Inhalt und Zweck der Freiheit hat, ist selbst zunächst nur Begriff, Prinzip des Geistes und Herzens und sich zur Gegenständlichkeit zu entwickeln bestimmt, zur rechtlichen, sittlichen und religiösen wie wissenschaftlichen Wirklichkeit.”