126

Meine sowie der anderen Besonderheit1 ist aber nur überhaupt ein Recht, insofern ich ein Freies bin. Sie kann sich daher nicht im Widerspruch dieser ihrer substantiellen Grundlage behaupten; und eine Absicht meines Wohls sowie des Wohls anderer – in welchem Falle sie insbesondere eine moralische Absicht genannt wird – kann nicht eine unrechtliche Handlung rechtfertigen.

Es ist vorzüglich eine der verderbten Maximen unserer Zeit, die teils aus der vorkantischen Periode des guten Herzens herstammt und z. B. die Quintessenz bekannter rührender dramatischer Darstellungen ausmacht, bei unrechtlichen Handlungen für die sogenannte moralische Absicht zu interessieren und schlechte Subjekte mit einem seinsollenden guten Herzen, d. i. einem solchen, welches sein eigenes Wohl und etwa auch das Wohl anderer will, vorzustellen; teils aber ist diese Lehre in gesteigerter Gestalt wieder aufgewärmt und die innere Begeisterung und das Gemüt, d. i. die Form der Besonderheit als solche, zum Kriterium dessen, was recht, vernünftig und vortrefflich sei, gemacht worden, so daß Verbrechen und deren leitende Gedanken, wenn es die plattesten, hohlsten Einfälle und törichtesten Meinungen seien, darum rechtlich, vernünftig und vortrefflich wären, weil sie aus dem Gemüt und aus der Begeisterung kommen; das Nähere s. unten § 140 Anm. – Es ist übrigens der Standpunkt zu beachten, auf dem Recht und Wohl hier betrachtet sind, nämlich als formelles Recht und als besonderes Wohl des Einzelnen; das sogenannte allgemeine Beste, das Wohl des Staates, d. i. das Recht des wirklichen konkreten Geistes, ist eine ganz andere Sphäre, in der das formelle Recht ebenso ein untergeordnetes Moment ist als das besondere Wohl und die Glückseligkeit des Einzelnen. Daß es einer der häufigen Mißgriffe der Abstraktion ist, das Privatrecht wie das Privatwohl als an und für sich gegen das Allgemeine des Staats geltend zu machen, ist schon oben [§ 29] bemerkt.

My particularity, however, like that of others, is only a right at all
in so far as I am a free entity. Therefore it may not make claims for
itself in contradiction to this its substantive basis, and an intention to
secure my welfare or that of others (and it is particularly in this latter
case that such an intention is called ‘moral’) cannot justify an action
which is wrong.

  1. handschriftlich:] Besonderheit β) freie abstrakte Persönlichkeit ↩︎

Kommentare

2 Antworten zu „126“

  1. Avatar von Eduard Gans
    Eduard Gans

    Hierher gehört die berühmte Antwort, die dem Libellisten, der sich mit einem il faut donc que je vive entschuldigte, gegeben wurde: je n’en vois pas la nécessité*) . Das Leben ist nicht notwendig gegen das Höhere der Freiheit. Wenn der heilige Crispinus Leder zu Schuhen für die Armen stiehlt, so ist die Handlung moralisch und unrechtlich und somit ungültig.

    * vgl. Rousseau, Emile III, ed. Garnier 1964, S. 223

  2. Avatar von Hegel
    Hegel

    [zu § 126]
    Wohl ist ein Ganzes – Allgemeines. Trieb α) etwas Einzel[nes] – β) in einem Ganzen. – Dies Ganze selbst meine Einzelheit, – nur das Allgemeine derselben.
    Mein Wohl erweitert sich von selbst sogleich zum Wohl Anderer, da mein Wohl nicht bestehen kann ohne das Wohl Anderer – so eigennützig, – aber diese Allgemeinheit des Wohls selbst Zweck für sich, weil jener Zusammenhang vernünftig; Wohl Anderer mit Zurücksetzung, Aufopferung meiner, – eben Inneres, Besonderes geht in den Charakter der Allgemeinheit – Negation meiner Einzelheit über.
    Allgemeine Menschenliebe – Allgemeine leer – denn Menschen konkret einzelne. – Wohl der Individuen, insofern ich es mir zum Zwecke machen kann, etwas ganz Beschränktes, denn im Staate, sittlichem Zustande, im Objektiven gegründet, nicht im subjektiven Meinen.
    Dies heißt vorzugsweise eine dem Inhalte nach moralische Handlung als gut für sich. Was sonst moralisch oder ein moralischer Mensch heißt wie ein rechtschaffener Mann, der das Recht will, behauptet und tut – seine Stands- und Amtspflichten gehörig ausübt – hier Moralität im Sinne des Formellen, – es ist an sich recht, tue es mit dem bestimmten Bewußtsein, daß es an sich recht ist – Aber Wohl Anderer ist nicht an sich mir absolut zum Zwecke bestimmt – Inhalt das Wohl überhaupt (- im Staat ein anderes – aber beim Individuum Sache der Zufälligkeit, Willkür, seines eigenen besondern Entschlusses) – Es ist Besonderheit, von mir unterschiedene Besonderheit, andere Besonderheit – Generosität, die was übrig hat. – Ein anderes ist unbefangen Dienste dem Andern tun, da ist es eben nicht der Rede wert. Aber sowie die Sache in die Reflexion tritt, wird sie als Sache der Wahl bestimmt, weil der Gegenstand hier wesentlich seiner Bestimmung nach, als Besonderes bestimmt ist. – Mein Wohl kann ich hintansetzen, – nichts an und für sich Notwendiges, – ebenso das Wohl Anderer, und noch mehr – denn Ich soll zunächst für mein Wohl sorgen, ebenso die Andern für das ihrige; – nur weil sie es versäumt nicht können, kurz äußerliche, zufällige Not oder eigne Schuld, der ich abzuhelfen habe. –
    Wohl ist erst bestimmt durch das Partikulare, Meinen – es ist die Sache eines jeden insbesondere, worin er sein Wohl setzt.
    Besondere Zwecke, – Besonderheit überhaupt [gegenüber] dem Allgemeinen überhaupt, dem an und für sich bestimmten – Recht.
    Wohl ist nur Inhalt, gegen Recht; – dies Persönlichkeit als solche – jenes Interesse der besonderen Individualität.
    Wohl – ein so viel gestaltetes, vielfach wendbares –
    Strenges Recht einseitig – wie der bloße moralische Zweck. Rechthaberei – Verstecken hinter formellem Recht.
    Allgemeines Beste – wenn Staatszweck so bestimmt – ebenso Willkür, Einfälle, Despotismus.
    Menschen sind geneigter zu wohlwollenden Handlungen, Generosität – als z. B. die Schulden zu bezahlen, – Unrecht, – doch wieder ein anderes Unrecht als z. B. das des heiligen Crispin – Leder zu stehlen – um [Schuhe] der Armen zu machen – hat ins Zuchthaus gehört. – Schulden – Zutrauen betrügen, – doch ein anderes als Stehlen – Zutrauen Anderer, meine eigene Absicht, Berechnung, Möglichkeit, sie zu bezahlen. – Zutrauen stellt seine Sache auf Meinung – er hat sich selber getäuscht.
    Für besonderes Wohl wird auch Recht verletzt – s. folg. §.
    Vermittlung – im Staate – beide einseitig – abstr[akt;] was läßt sich so im allgemeinen sagen – a) Allg[emeines] – Inhalt des Wohls, Leben, selbst … [?] und Realität der Persönlichkeit.
    Viel Geschwöge läßt sich hier hin und her machen, oft weiter nichts als Hoffnung oder Beabsichtigung eines großen Gewinns.

    [zu § 126 Anm.]
    Das Bedeutende gehört dem sittlichen, allgemeinen Leben an, – und die Fragen, die sich auf diese Gegensätze von Wohl und Recht – auch Notrecht – [beziehen], betreffen nur Fälle einer höchst beschränkten Sphäre; denn für eine solche ist höchst wenig übrig gelassen. Die großen Interessen des Menschen, sein wahres Verhältnis, liegen in der Sphäre der Sittlichkeit – diese moralischen sind nur Abschnitzel.

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