Das Sittliche, insofern es sich an dem individuellen durch die Natur bestimmten Charakter als solchem reflektiert, ist die Tugend, die, insofern sie nichts zeigt als die einfache Angemessenheit des Individuums an die Pflichten der Verhältnisse, denen es angehört, Rechtschaffenheit ist.
Was der Mensch tun müsse, welches die Pflichten sind, die er zu erfüllen hat, um tugendhaft zu sein, ist in einem sittlichen Gemeinwesen leicht zu sagen, – es ist nichts anderes von ihm zu tun, als was ihm in seinen Verhältnissen vorgezeichnet, ausgesprochen und bekannt ist. Die Rechtschaffenheit ist das Allgemeine, was an ihn teils rechtlich, teils sittlich gefordert werden kann. Sie erscheint aber für den moralischen Standpunkt leicht als etwas Untergeordneteres, über das man an sich und andere noch mehr fordern müsse; denn die Sucht, etwas Besonderes zu sein, genügt sich nicht mit dem, was das Anundfürsichseiende und Allgemeine ist; sie findet erst in einer Ausnahme das Bewußtsein der Eigentümlichkeit. – Die verschiedenen Seiten der Rechtschaffenheit können ebensogut auch Tugenden genannt werden, weil sie ebensosehr Eigentum – obwohl in der Vergleichung mit anderen nicht besonderes – des Individuums sind. Das Reden aber von der Tugend grenzt leicht an leere Deklamation, weil damit nur von einem Abstrakten und Unbestimmten gesprochen wird, so wie auch solche Rede mit ihren Gründen und Darstellungen sich an das Individuum als an eine Willkür und subjektives Belieben wendet. Unter einem vorhandenen sittlichen Zustande, dessen Verhältnisse vollständig entwickelt und verwirklicht sind, hat die eigentliche Tugend nur in außerordentlichen Umständen und Kollisionen jener Verhältnisse ihre Stelle und Wirklichkeit; – in wahrhaften Kollisionen, denn die moralische Reflexion kann sich allenthalben Kollisionen erschaffen und sich das Bewußtsein von etwas Besonderem und von gebrachten Opfern geben. Im ungebildeten Zustande der Gesellschaft und des Gemeinwesens kommt deswegen mehr die Form der Tugend als solcher vor, weil hier das Sittliche und dessen Verwirklichung mehr ein individuelles Belieben und eine eigentümliche geniale Natur des Individuums ist, wie denn die Alten besonders von Herkules die Tugend prädiziert haben. Auch in den alten Staaten, weil in ihnen die Sittlichkeit nicht zu diesem freien System einer selbständigen Entwicklung und Objektivität gediehen war, mußte es die eigentümliche Genialität der Individuen sein, welche diesen Mangel ersetzte. – Die Lehre von den Tugenden, insofern sie nicht bloß Pflichtenlehre ist, somit das Besondere, auf Naturbestimmtheit Gegründete des Charakters umfaßt, wird hiermit eine geistige Naturgeschichte sein.
Indem die Tugenden das Sittliche in der Anwendung auf das Besondere und nach dieser subjektiven Seite ein Unbestimmtes sind, so tritt für ihre Bestimmung das Quantitative des Mehr und Weniger ein; ihre Betrachtung führt daher die gegenüberstehenden Mängel oder Laster herbei, wie bei Aristoteles, der die besondere Tugend daher seinem richtigen Sinne nach als die Mitte zwischen einem Zuviel und einem Zuwenig bestimmte. – Derselbe Inhalt, welcher die Form von Pflichten und dann von Tugenden annimmt, ist es auch, der die Form von Trieben hat (§ 19 Anm.). Auch sie haben denselben Inhalt zu ihrer Grundlage; aber weil er in ihnen noch dem unmittelbaren Willen und der natürlichen Empfindung angehört und zur Bestimmung der Sittlichkeit nicht heraufgebildet ist, so haben sie mit dem Inhalte der Pflichten und Tugenden nur den abstrakten Gegenstand gemein, der, als bestimmungslos in sich selbst, die Grenze des Guten oder Bösen für sie nicht enthält, – oder sie sind nach der Abstraktion des Positiven gut, und umgekehrt nach der Abstraktion des Negativen böse (§ 18).
Virtue is the ethical order reflected in the individual character so
far as that character is determined by its natural endowment. When
virtue displays itself solely as the individual’s simple conformity with
the duties of the station to which he belongs, it is rectitude.
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