211

a. Das Recht als Gesetz

Was an sich Recht ist, ist in seinem objektiven Dasein gesetzt, d. i. durch den Gedanken für das Bewußtsein bestimmt und als das, was Recht ist und gilt, bekannt, das Gesetz; und das Recht ist durch diese Bestimmung positives Recht überhaupt.

Etwas als Allgemeines setzen – d. i. es als Allgemeines zum Bewußtsein bringen – ist bekanntlich denken (vgl. oben § 13 Anm. und § 21 Anm.); indem es so den Inhalt auf seine einfachste Form zurückbringt, gibt es ihm seine letzte Bestimmtheit. Was Recht ist, erhält erst damit, daß es zum Gesetze wird, nicht nur die Form seiner Allgemeinheit, sondern seine wahrhafte Bestimmtheit. Es ist darum bei der Vorstellung des Gesetzgebens nicht bloß das eine Moment vor sich zu haben, daß dadurch etwas als die für alle gültige Regel des Benehmens ausgesprochen werde; sondern das innere wesentliche Moment ist vor diesem anderen die Erkenntnis des Inhalts in seiner bestimmten Allgemeinheit. Gewohnheitsrechte selbst – da nur die Tiere ihr Gesetz als Instinkt haben, nur die Menschen aber es sind, die es als Gewohnheit haben – enthalten das Moment, als Gedanken zu sein und gewußt zu werden. Ihr Unterschied von Gesetzen besteht nur darin, daß sie auf eine subjektive und zufällige Weise gewußt werden, daher für sich unbestimmter [sind] und die Allgemeinheit des Gedankens getrübter, außerdem die Kenntnis des Rechts nach dieser und jener Seite und überhaupt ein zufälliges Eigentum Weniger ist. Daß sie durch ihre Form, als Gewohnheiten zu sein, den Vorzug haben sollen, ins Leben übergegangen zu sein (man spricht heutigentages übrigens gerade da am meisten vom Leben und vom Übergehen ins Leben, wo man in dem totesten Stoffe und in den totesten Gedanken versiert), ist eine Täuschung, da die geltenden Gesetze einer Nation dadurch, daß sie geschrieben und gesammelt sind, nicht aufhören, ihre Gewohnheiten zu sein. Wenn die Gewohnheitsrechte dazu kommen, gesammelt und zusammengestellt zu werden, was bei einem nur zu einiger Bildung gediehenen Volke bald geschehen muß, so ist dann diese Sammlung das Gesetzbuch, das sich freilich, weil es bloße Sammlung ist, durch seine Unförmigkeit, Unbestimmtheit und Lückenhaftigkeit auszeichnen wird. Es wird sich vornehmlich von einem eigentlich so genannten Gesetzbuche dadurch unterscheiden, daß dieses die Rechtsprinzipien in ihrer Allgemeinheit und damit in ihrer Bestimmtheit denkend auffaßt und ausspricht. Englands Landrecht oder gemeines Recht ist bekanntlich in Statuten (förmlichen Gesetzen) und in einem sogenannten ungeschriebenen Gesetze enthalten; dieses ungeschriebene Gesetz ist übrigens ebensogut geschrieben, und dessen Kenntnis kann und muß durch Lesen allein (der vielen Quartanten, die es ausfüllt) erworben werden. Welche ungeheure Verwirrung aber auch in der dortigen Rechtspflege sowohl als in der Sache liegt, schildern die Kenner derselben. Insbesondere bemerken sie den Umstand, daß, da dies ungeschriebene Gesetz in den Dezisionen der Gerichtshöfe und Richter enthalten ist, die Richter damit fortdauernd die Gesetzgeber machen, daß sie auf die Autorität ihrer Vorgänger, als die nichts getan als das ungeschriebene Gesetz ausgesprochen haben, ebenso angewiesen sind als nicht angewiesen sind, da sie selbst das ungeschriebene Gesetz in sich haben und daraus das Recht haben, über die vorhergegangenen Entscheidungen zu urteilen, ob sie demselben angemessen sind oder nicht. – Gegen eine ähnliche Verwirrung, die in der späteren römischen Rechtspflege aus den Autoritäten aller der verschiedenen berühmten Juriskonsulten entstehen konnte, wurde von einem Kaiser das sinnreiche Auskunftsmittel getroffen, das den Namen Zitiergesetz führt und eine Art von kollegialischer Einrichtung unter den längst verstorbenen Rechtsgelehrten, mit Mehrheit der Stimmen und einem Präsidenten, einführte (s. Herrn Hugos Röm. Rechtsgeschichte [1799] § 354). – Einer gebildeten Nation oder dem juristischen Stande in derselben die Fähigkeit abzusprechen, ein Gesetzbuch zu machen1 – da es nicht darum zu tun sein kann, ein System ihrem Inhalte nach neuer Gesetze zu machen, sondern den vorhandenen gesetzlichen Inhalt in seiner bestimmten Allgemeinheit zu erkennen, d. i. ihn denkend zu fassen, mit Hinzufügung der Anwendung aufs Besondere -, wäre einer der größten Schimpfe, der einer Nation oder jenem Stande angetan werden könnte.

  1. Anspielung auf Friedrich Karl von Savignys Schrift Vom Berufe unserer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft, Heidelberg 1814 ↩︎

Kommentare

Eine Antwort zu „211“

  1. Avatar von Eduard Gans
    Eduard Gans

    Die Sonne wie die Planeten haben auch ihre Gesetze, aber sie wissen sie nicht; Barbaren werden durch Triebe, Sitten, Gefühle regiert, aber sie haben kein Bewußtsein davon. Dadurch, daß das Recht gesetzt und gewußt ist, fällt alles Zufällige der Empfindung, des Meinens, die Form der Rache, des Mitleids, der Eigensucht fort, und so erlangt das Recht erst seine wahrhafte Bestimmtheit und kommt zu seiner Ehre. Erst durch die Zucht des Auffassens wird es der Allgemeinheit fähig. Daß es bei der Anwendung der Gesetze Kollisionen gibt, wo der Verstand des Richters seinen Platz hat, ist durchaus notwendig, weil sonst eben die Ausführung etwas durchaus Maschinenmäßiges würde. Wenn man darauf gekommen ist, die Kollisionen dadurch abzuschaffen, daß man vieles dem Gutdünken der Richter überlassen will, so ist ein solcher Ausweg weit schlechter, weil auch die Kollision dem Gedanken, dem denkenden Bewußtsein und seiner Dialektik angehört, die bloße Entscheidung durch den Richter aber Willkür wäre. Man führt in der Regel für das Gewohnheitsrecht an, daß es lebendig sei, aber diese Lebendigkeit, d. h. die Identität der Bestimmung mit dem Subjekte, macht das Wesen der Sache noch nicht aus; das Recht muß denkend gewußt werden, es muß ein System in sich selbst sein, und nur als solches kann es bei gebildeten Nationen gelten. Wenn man in der neuesten Zeit den Völkern den Beruf zur Gesetzgebung abgesprochen hat, so ist dies nicht allein ein Schimpf, sondern enthält das Abgeschmackte, daß bei der Unendlichen Menge vorhandener Gesetze nicht einmal den Einzelnen die Geschicklichkeit zugetraut wird, dieselben in ein konsequentes System zu bringen, während gerade das Systematisieren, d. h. das Erheben ins Allgemeine, der unendliche Drang der Zeit ist. Ebenso hat man Sammlungen von Dezisionen, wie sie sich im Corpus iuris vorfinden, für vorzüglicher als ein im allgemeinsten Sinne ausgearbeitetes Gesetzbuche gehalten, weil in solchen Dezisionen immer noch eine gewisse Besonderheit und eine geschichtliche Erinnerung festgehalten wird, von der man nicht lassen will. Wie arg solche Sammlungen sind, zeigt zur Genüge die Praxis des englischen Rechts.

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