227

Die erstere Seite, die Erkenntnis des Falles in seiner unmittelbaren Einzelheit und seine Qualifizierung, enthält für sich kein Rechtsprechen. Sie ist eine Erkenntnis, wie sie jedem gebildeten Menschen zusteht. Insofern für die Qualifikation der Handlung das subjektive Moment der Einsicht und Absicht des Handelnden (s. II. Teil) wesentlich ist und der Beweis ohnehin nicht Vernunft- oder abstrakte Verstandesgegenstände, sondern nur Einzelheiten, Umstände und Gegenstände sinnlicher Anschauung und subjektiver Gewißheit betrifft, daher keine absolut objektive Bestimmung in sich enthält, so ist das Letzte in der Entscheidung die subjektive Überzeugung und das Gewissen (animi sententia), wie in Ansehung des Beweises, der auf Aussagen und Versicherungen anderer beruht, der Eid die zwar subjektive, aber letzte Bewährung ist.

Bei dem in Rede stehenden Gegenstand ist es eine Hauptsache, die Natur des Beweisens, auf welches es hier ankommt, ins Auge zu fassen und es von dem Erkennen und Beweisen anderer Art zu unterscheiden. Eine Vernunftbestimmung, wie der Begriff des Rechts selbst ist, zu beweisen, d. i. ihre Notwendigkeit zu erkennen, erfordert eine andere Methode als der Beweis eines geometrischen Lehrsatzes. Ferner bei letzterem ist die Figur vom Verstande bestimmt und einem Gesetze gemäß bereits abstrakt gemacht; aber bei einem empirischen Inhalt, wie eine Tatsache ist, ist der Stoff des Erkennens die gegebene sinnliche Anschauung und die sinnliche subjektive Gewißheit und das Aussprechen und Versichern von solcher, – woran nun das Schließen und Kombinieren aus solchen Aussagen, Zeugnissen, Umständen u. dgl. tätig ist. Die objektive Wahrheit, welche aus solchem Stoffe und der ihm gemäßen Methode, [die] bei dem Versuche, sie für sich objektiv zu bestimmen, auf halbe Beweise und in weiterer wahrhafter Konsequenz, die zugleich eine formelle Inkonsequenz in sich enthält, auf außerordentliche Strafen führt, hervorgeht, hat einen ganz anderen Sinn als die Wahrheit einer Vernunftbestimmung oder eines Satzes, dessen Stoff sich der Verstand bereits abstrakt bestimmt hat. Daß nun solche empirische Wahrheit einer Begebenheit zu erkennen in der eigentlich juristischen Bestimmung eines Gerichts, daß in dieser eine eigentümliche Qualität hierfür und damit ein ausschließendes Recht an sich und Notwendigkeit liege, dies aufzuzeigen machte einen Hauptgesichtspunkt bei der Frage aus, inwiefern den förmlichen juristischen Gerichtshöfen das Urteil über das Faktum wie über die Rechtsfrage zuzuschreiben sei.

Kommentare

Eine Antwort zu „227“

  1. Avatar von Eduard Gans
    Eduard Gans

    Es ist kein Grund vorhanden, anzunehmen, daß der juristische Richter allein den Tatbestand feststellen solle, da dies die Sache jeder allgemeinen Bildung ist und nicht einer bloß juristischen: die Beurteilung des Tatbestandes geht von empirischen Umständen aus, von Zeugnissen über die Handlung und dergleichen Anschauungen, dann aber wieder von Tatsachen, aus denen man auf die Handlung schließen kann und die sie wahrscheinlich oder unwahrscheinlich machen. Es soll hier eine Gewißheit erlangt werden, keine Wahrheit im höheren Sinne, welche etwas durchaus Ewiges ist; diese Gewißheit ist hier die subjektive Überzeugung, das Gewissen, und die Frage ist: welche Form soll diese Gewißheit im Gericht erhalten? Die Forderung des Eingeständnisses von seiten des Verbrechers, welche sich gewöhnlich im deutschen Rechte vorfindet, hat das Wahre, daß dem Recht des subjektiven Selbstbewußtseins dadurch ein Genüge geschieht; denn das, was die Richter sprechen, muß im Bewußtsein nicht verschieden sein, und erst, wenn der Verbrecher eingestanden hat, ist kein Fremdes mehr gegen ihn in dem Urteil. Hier tritt nun aber die Schwierigkeit ein, daß der Verbrecher leugnen kann und dadurch das Interesse der Gerechtigkeit gefährdet wird. Soll nun wieder die subjektive Überzeugung des Richters gelten, so geschieht abermals eine Härte, indem der Mensch nicht mehr als freier behandelt wird. Die Vermittlung ist nun, daß gefordert wird, der Ausspruch der Schuld oder Unschuld solle aus der Seele des Verbrechers gegeben sein, – das Geschworenengericht.

Schreibe einen Kommentar