272

I. Innere Verfassung für sich

Die Verfassung ist vernünftig, insofern der Staat seine Wirksamkeit nach der Natur des Begriffs in sich unterscheidet und bestimmt, und zwar so, daß jede dieser Gewalten selbst in sich die Totalität dadurch ist, daß sie die anderen Momente in sich wirksam hat und enthält und daß sie, weil sie den Unterschied des Begriffs ausdrücken, schlechthin in seiner Idealität bleiben und nur ein individuelles Ganzes ausmachen.

Es ist über Verfassung wie über die Vernunft selbst in neueren Zeiten unendlich viel Geschwätze, und zwar in Deutschland das schalste durch diejenigen in die Welt gekommen, welche sich überredeten, es am besten und selbst mit Ausschluß aller anderen und am ersten der Regierungen zu verstehen, was Verfassung sei, und die unabweisliche Berechtigung darin zu haben meinten, daß die Religion und die Frömmigkeit die Grundlage aller dieser ihrer Seichtigkeiten sein sollte. Es ist kein Wunder, wenn dieses Geschwätze die Folge gehabt hat, daß vernünftigen Männern die Worte Vernunft, Aufklärung, Recht usf. wie Verfassung und Freiheit ekelhaft geworden sind und man sich schämen möchte, noch über politische Verfassung auch mitzusprechen. Wenigstens aber mag man von diesem Überdrusse die Wirkung hoffen, daß die Überzeugung allgemeiner werde, daß eine philosophische Erkenntnis solcher Gegenstände nicht aus dem Räsonnement, aus Zwecken, Gründen und Nützlichkeiten, noch viel weniger aus dem Gemüt, der Liebe und der Begeisterung, sondern allein aus dem Begriffe hervorgehen könne und daß diejenigen, welche das Göttliche für unbegreiflich und die Erkenntnis des Wahren für ein nichtiges Unternehmen halten, sich enthalten müssen, mitzusprechen. Was sie aus ihrem Gemüte und ihrer Begeisterung an unverdautem Gerede oder an Erbaulichkeit hervorbringen, beides kann wenigstens nicht die Prätention auf philosophische Beachtung machen.
Von den kursierenden Vorstellungen ist, in Beziehung auf den § 269, die von der notwendigen Teilung der Gewalten des Staats zu erwähnen, – einer höchst wichtigen Bestimmung, welche mit Recht, wenn sie nämlich in ihrem wahren Sinne genommen worden wäre, als die Garantie der öffentlichen Freiheit betrachtet werden konnte, – einer Vorstellung, von welcher aber gerade die, welche aus Begeisterung und Liebe zu sprechen meinen, nichts wissen und nichts wissen wollen; denn in ihr ist es eben, wo das Moment der vernünftigen Bestimmtheit liegt. Das Prinzip der Teilung der Gewalten enthält nämlich das wesentliche Moment des Unterschiedes, der realen Vernünftigkeit; aber wie es der abstrakte Verstand faßt, liegt darin teils die falsche Bestimmung der absoluten Selbständigkeit der Gewalten gegeneinander, teils die Einseitigkeit, ihr Verhältnis zueinander als ein Negatives, als gegenseitige Beschränkung aufzufassen. In dieser Ansicht wird es eine Feindseligkeit, eine Angst vor jeder, was jede gegen die andere als gegen ein Übel hervorbringt, mit der Bestimmung, sich ihr entgegenzusetzen und durch diese Gegengewichte ein allgemeines Gleichgewicht, aber nicht eine lebendige Einheit zu bewirken. Nur die Selbstbestimmung des Begriffs in sich, nicht irgend andere Zwecke und Nützlichkeiten, ist es, welche den absoluten Ursprung der unterschiedenen Gewalten enthält und um derentwillen allein die Staatsorganisation als das in sich Vernünftige und das Abbild der ewigen Vernunft ist. – Wie der Begriff und dann in konkreter Weise die Idee sich an ihnen selbst bestimmen und damit ihre Momente abstrakt der Allgemeinheit, Besonderheit und Einzelheit setzen, ist aus der Logik – freilich nicht der sonst gang und gäben – zu erkennen. Überhaupt das Negative zum Ausgangspunkt zu nehmen und das Wollen des Bösen und das Mißtrauen dagegen zum Ersten zu machen und von dieser Voraussetzung aus nun pfiffigerweise Dämme auszuklügeln, die als [Bedingung ihrer] Wirksamkeit nur gegenseitiger Dämme bedürfen, charakterisiert dem Gedanken nach den negativen Verstand und der Gesinnung nach die Ansicht des Pöbels (s. oben § 244). – Mit der Selbständigkeit der Gewalten, z. B. der, wie sie genannt worden sind, exekutiven und der gesetzgebenden Gewalt, ist, wie man dies auch im großen gesehen hat, die Zertrümmerung des Staats unmittelbar gesetzt oder, insofern der Staat sich wesentlich erhält, der Kampf, daß die eine Gewalt die andere unter sich bringt, dadurch zunächst die Einheit, wie sie sonst beschaffen sei, bewirkt und so allein das Wesentliche, das Bestehen des Staats rettet.

Kommentare

2 Antworten zu „272“

  1. Avatar von Karl Marx
    Karl Marx

    Die Verfassung ist also vernünftig, insofern seine Momente in die abstrakt logischen aufgelöst werden können. Der Staat hat seine Wirksamkeit nicht nach seiner spezifischen Natur zu unterscheiden und zu bestimmen, sondern nach der Natur des Begriffs, welcher das mystifizierte Mobile des abstrakten Gedankens ist. Die Vernunft der Verfassung ist also die abstrakte Logik und |218| nicht der Staatsbegriff. Statt des Begriffs der Verfassung erhalten wir die Verfassung des Begriffs. Der Gedanke richtet sich nicht nach der Natur des Staats, sondern der Staat nach einem fertigen Gedanken.

  2. Avatar von Eduard Gans
    Eduard Gans

    Im Staate muß man nichts haben wollen, als was ein Ausdruck der Vernünftigkeit ist. Der Staat ist die Welt, die der Geist sich gemacht hat; er hat daher einen bestimmten, an und für sich seienden Gang. Wie oft spricht man nicht von der Weisheit Gottes in der Natur; man muß aber ja nicht glauben, daß die physische Naturwelt ein Höheres sei als die Welt des Geistes, denn so hoch der Geist über der Natur steht, so hoch steht der Staat über dem physischen Leben. Man muß daher den Staat wie ein Irdisch-Göttliches verehren und einsehen, daß, wenn es schwer ist, die Natur zu begreifen, es noch unendlich herber ist, den Staat zu fassen. Es ist höchst wichtig, daß man in neueren Zeiten bestimmte Anschauungen über den Staat im allgemeinen gewonnen hat und daß man sich soviel mit dem Sprechen und Machen von Verfassungen beschäftigte. Damit ist es aber noch nicht abgemacht; es ist nötig, daß man zu einer vernünftigen Sache auch die Vernunft der Anschauung mitbringe, daß man wisse, was das Wesentliche sei und daß nicht immer das Auffallende das Wesentliche ausmache. Die Gewalten des Staates müssen so allerdings unterschieden sein, aber jede muß an sich selbst ein Ganzes bilden und die anderen Momente in sich enthalten. Wenn man von der unterschiedenen Wirksamkeit der Gewalten spricht, muß man nicht in den ungeheuren Irrtum verfallen, dies so anzunehmen, als wenn jede Gewalt für sich abstrakt dastehen sollte, da die Gewalten vielmehr nur als Momente des Begriffs unterschieden sein sollen. Bestehen die Unterschiede dagegen abstrakt für sich, so liegt am Tage, daß zwei Selbständigkeiten keine Einheit ausmachen können, wohl aber Kampf hervorbringen müssen, wodurch entweder das Ganze zerrüttet wird oder die Einheit durch Gewalt sich wieder herstellt. So hat in der französischen Revolution bald die gesetzgebende Gewalt die sogenannte exekutive, bald die exekutive die gesetzgebende Gewalt verschlungen, und es bleibt abgeschmackt, hier etwa die moralische Forderung der Harmonie zu machen. Denn wirft man die Sache aufs Gemüt, so hat man freilich sich alle Mühe erspart; aber wenn das sittliche Gefühl auch notwendig ist, so hat es nicht aus sich die Gewalten des Staates zu bestimmen. Worauf es also ankommt ist, daß, indem die Bestimmungen der Gewalten an sich das Ganze sind, sie auch alle in der Existenz den ganzen Begriff ausmachen. Wenn man gewöhnlich von dreien Gewalten, der gesetzgebenden, der exekutiven und der richterlichen redet, so entspricht die erste der Allgemeinheit, die zweite der Besonderheit, aber die richterliche ist nicht das Dritte des Begriffs, denn ihre Einzelheit liegt außer jenen Sphären.

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