137

Das wahrhafte Gewissen ist die Gesinnung, das, was an und für sich gut ist, zu wollen; es hat daher feste Grundsätze, und zwar sind ihm diese die für sich objektiven Bestimmungen und Pflichten. Von diesem seinem Inhalte, der Wahrheit, unterschieden, ist es nur die formelle Seite der Tätigkeit des Willens, der als dieser keinen eigentümlichen Inhalt hat. Aber das objektive System dieser Grundsätze und Pflichten und die Vereinigung des subjektiven Wissens mit demselben ist erst auf dem Standpunkte der Sittlichkeit vorhanden. Hier auf dem formellen Standpunkte der Moralität ist das Gewissen ohne diesen objektiven Inhalt, so für sich die unendliche formelle Gewißheit seiner selbst, die eben darum zugleich als die Gewißheit dieses Subjekts ist.

Das Gewissen drückt die absolute Berechtigung des subjektiven Selbstbewußtseins aus, nämlich in sich und aus sich selbst zu wissen, was Recht und Pflicht ist, und nichts anzuerkennen, als was es so als das Gute weiß, zugleich in der Behauptung, daß, was es so weiß und will, in Wahrheit Recht und Pflicht ist. Das Gewissen ist als diese Einheit des subjektiven Wissens und dessen, was an und für sich ist, ein Heiligtum, welches anzutasten Frevel wäre. Ob aber das Gewissen eines bestimmten Individuums dieser Idee des Gewissens gemäß ist, ob das, was es für gut hält oder ausgibt, auch wirklich gut ist, dies erkennt sich allein aus dem Inhalt dieses Gutseinsollenden. Was Recht und Pflicht ist, ist als das an und für sich Vernünftige der Willensbestimmungen wesentlich weder das besondere Eigentum eines Individuums noch in der Form von Empfindung oder sonst einem einzelnen, d. i. sinnlichen Wissen, sondern wesentlich von allgemeinen, gedachten Bestimmungen, d. i. in der Form von Gesetzen und Grundsätzen. Das Gewissen ist daher diesem Urteil unterworfen, ob es wahrhaft ist oder nicht, und seine Berufung nur auf sein Selbst ist unmittelbar dem entgegen, was es sein will, die Regel einer vernünftigen, an und für sich gültigen allgemeinen Handlungsweise. Der Staat kann deswegen das Gewissen in seiner eigentümlichen Form, d. i. als subjektives Wissen nicht anerkennen, sowenig als in der Wissenschaft die subjektive Meinung, die Versicherung und Berufung auf eine subjektive Meinung, eine Gültigkeit hat. Was im wahrhaften Gewissen nicht unterschieden ist, ist aber unterscheidbar, und es ist die bestimmende Subjektivität des Wissens und Wollens, welche sich von dem wahrhaften Inhalte trennen, sich für sich setzen und denselben zu einer Form und Schein herabsetzen kann. Die Zweideutigkeit in Ansehung des Gewissens liegt daher darin, daß es in der Bedeutung jener Identität des subjektiven Wissens und Wollens und des wahrhaften Guten vorausgesetzt und so als ein Heiliges behauptet und anerkannt wird und ebenso als die nur subjektive Reflexion des Selbstbewußtseins in sich doch auf die Berechtigung Anspruch macht, welche jener Identität selbst nur vermöge ihres an und für sich gültigen vernünftigen Inhalts zukommt. In den moralischen Standpunkt, wie er in dieser Abhandlung von dem sittlichen unterschieden wird, fällt nur das formelle Gewissen; das wahrhafte ist nur erwähnt worden, um seinen Unterschied anzugeben und das mögliche Mißverständnis zu beseitigen, als ob hier, wo nur das formelle Gewissen betrachtet wird, von dem wahrhaften die Rede wäre, welches in der in der Folge erst vorkommenden sittlichen Gesinnung enthalten ist. Das religiöse Gewissen gehört aber überhaupt nicht in diesen Kreis.

True conscience is the disposition to will what is absolutely good.
It therefore has fixed principles and it is aware of these as its
explicitly objective determinants and duties. In distinction from this
its content (i.e. truth), conscience is only the formal side of the
activity of the will, which as
this will has no special content of its own.
But the objective system of these principles and duties, and the union
of subjective knowing with this system, is not present until we come
to the standpoint of ethical life. Here at the abstract standpoint of
morality, conscience lacks this objective content and so its explicit
character is that of infinite abstract self-certainty, which at the same
time is for this very reason the self-certainty
of this subject.

Kommentare

2 Antworten zu „137“

  1. Avatar von Eduard Gans
    Eduard Gans

    Sprechen wir vom Gewissen, so kann leicht gedacht werden, daß dasselbe um seiner Form willen, welche das abstrakt Innerliche ist, schon an und für sich das Wahrhafte sei. Aber das Gewissen als Wahrhaftes ist diese Bestimmung seiner selbst, das zu wollen, was an und für sich das Gute und die Pflicht ist. Hier aber haben wir erst mit dem abstrakt Guten zu tun, und das Gewissen ist noch ohne diesen objektiven Inhalt, ist nur erst die unendliche Gewißheit seiner selbst.

  2. Avatar von Hegel
    Hegel

    [zu § 137]
    γ) zu α) Verhältnis, β) Inhalt – γ) Gewissen – Bestimmend – αα) Gewissen ββ) dialektisch, Böse – (§ 132) Recht des subjektiven Willens – daß es wisse, was das Gute sei – Gewissen – als Willkür, als entscheidend.
    Recht der Pflicht, des Guten, an das Gewissen – du hättest dies wissen sollen – absolut, nicht nur äußere Umstände –
    δ) kein Prinzip der Bestimmung als die Subjektivität d. i. die Objektivität ist die allgemeine Besonderheit (Subjektivität), das Bestimmen, Unterschiedsetzen.
    Gewissen ist das Gute, als bestimmend, wollend, sich entschließend. Das Gute in Identität mit Gewißheit seiner selbst – Ich, – Lebendigkeit. – Das Innerste, Substantielle.
    Gewißheit seiner selbst – als Gew[ißheit] Wissen von dem Guten – Sein und Setzen – Mysterium der Freiheit – daß es seine Selbstbestimmung ist, – an sich – Begriff.
    Wahrhaftes Gewissen ist formell, d. i. setzt voraus die Pflichten – das bestimmte Gute – drückt aus, daß Ich denselben gemäß bin, meine Subjektivität – Gewißheit meiner selbst an sich bin – [sie] mir so sind als die sichere Gewißheit meiner selbst. Ich kann dies nicht tun.
    Ein gewissenhafter Mann, der seine Pflichten tut – aber nicht sie erst aus sich macht – Sie sind, ewig – (niemand weiß, von wannen sie gekommen) – die ewigen Gesetze der Götter
    Sein – sie sind – unterschieden vom Gesetz[t]sein.
    Dies System der Pflichten hier noch nicht vorhanden, denn wir sind auf dem Standpunkte der Reflexion, die zwar die Idee des Guten vor sich hat, aber nimmt demselben die Bestimmtheit, – oder vielmehr die Bestimmtheit ist nur noch abstrakt aufgefaßt.
    Dies ist wider mein Gewissen, Gewissen erlaubt es nicht – handle nach dem Gewissen – in Kollision von Vorteilen und Pflichten – solchen Vorteil mir zu machen, oder dir – Vorteil auf Kosten eines andern, – gegen Gewissen – Vorteil für sich, wenn keiner Pflicht entgegen und nicht ungerecht, – wäre für sich wohl erlaubt – nur ein Böses – als gegen Recht und Pflicht –
    Es gibt freilich Kollisionen, wo Pflicht gegen Pflicht – Wohl gegen Wohl – außerordentliche Fälle – an solche hält die spitzfindige Reflexion sich gern – teils um der leeren Spitzfindigkeit willen – Ich weiß nicht zu entscheiden – Herabstoßen vom Brett seinen [?] Komplicen auch gut – teils um sich aus dem Außerordentlichen, der Ausnahme, eine allgemeine Losbindung von Pflicht und Recht zu erklügeln. Wenn ich sage, das Recht mußt du respektieren – und welchen allgemeinen Satz dieser Art – so kann mir eine Instanz dagegen gebracht werden. – In außerordentlichen Fällen, wo das Objektive verschwindet, – Allgemeines in sich, – und für alle Fälle ist sehr unterschieden – wie die Bestimmtheit des Vogels und Fisches, – obgleich fliegende Fische.

    [zu § 137 Anm.]
    Es gibt einen absoluten Maßstab des Gewissens, und zwar ist er, hat ihn das Gewissen selbst – Ich habe es nicht gewußt, mein Gewissen hat es mir nicht gesagt – eben schlechtes Gewissen – göttliches Gewissen – Gott zum Zeugen – Gott ist der Gott der Wahrheit – nicht nachgeben gegen sich selbst –
    Schlechtes Gewissen – dies Urteil geht mich nichts an – es ist eben mein Gewissen, weil Grundsätze des Rechts usf. nicht in meinem Gewissen sind, so haben sie keine Anforderung an mich; Ich nehme nur, was Ich in meinem Gewissen vorfinde, sonst keine Quelle – ein irrendes Gewissen – Damit gibt der Mensch seine Würde, Substantialität auf. Seine Versicherung gilt nichts, sie ist wider seine absolute Ehre – wenn so, wie er sagt – so ist er wie ein schädliches Tier, dessen Natur weiter nichts als böse, zerstörend ist, totzuschlagen, – oder wenigstens wegzuweisen aus der Gesellschaft – solche kann sie nicht brauchen. – Ihr sollt mich auch nicht brauchen; Ich bin für mich, Selbstzweck. – Gut, so sei es – aber für dich, – brauchen, d. h. in rechtlicher, sittlicher Gemeinschaft stehen, – nicht bloß in Vertrag – und selbst Vertrag setzt Zutrauen voraus. Die Handlungen, Äußerungen der Menschen sind solche Einzelheiten gegeneinander, daß wir nur sicher, ruhig dagegen sind, durch die allgemeine Versicherung, Zutrauen, daß sie ernst gemeint, wenigstens unbefangen sind. – Menge Menschen gehen auf der Straße vorüber, spreche mit einer Menge, verlasse mich darauf, daß sie mich nicht plündern, morden usf. wollen, – kommen gegen mich, sind bekleidet (bei Orientalen Kleider durchsuchen). Wenn ich vorauszusetzen hätte, sie wären irrende Gewissen, anerkennten nur das für Recht, was sie nur in ihrem subjektiven Gewissen fänden, so daß sie darin das Gegenteil von allem, was recht und sittlich, fänden, so befände ich mich ärger als unter Räubern, denn von diesen weiß ich, daß sie Räuber sind, – jene aber haben den äußerlichen Anschein und alle Redensarten – selbst der Religion, des Rechts, des Guten, des Gewissens –

    Viele Mißverständnisse von seiten der Religion – des Standpunkts des Christlichen – in ihrem ersten Auftreten – Dem Gerechten ist kein Gesetz gegeben. α) Nur dem Gerechten – leicht so verdreht, – daß jeder sich sogleich, schon an und für sich für den Gerechten nimmt – und zwar damit, daß kein Gesetz von ihm anerkannt wird, diese Negativität mache den Gerechten aus; vielmehr
    β) das, was der Gerechte tut, – ist das Gesetz selbst – αα) gegeben ist [es] ihm nicht – wie jüdische Gesetze – Polizeigesetze usf. tut jeder Rechtliche – die Menschen oft unwillig darüber, daß solches angeordnet, solches Gesetz gegeben wird, – als ob die Voraussetzung in diesem Anordnen liege, daß sie es nicht tun, unrechtlich usf. seien. ββ) Die Gesetze, allgemeinen Grundsätze sind allerdings beschränkte – um so mehr, je positiver ihr Inhalt ist – Schaubrote essen, [am] Sabbath Ähren ausraufen – aber im Notfall – nicht allgemein – Majestät des Gewissens – aber nur in außerordentlichen Fällen, d. i. selbst gewissenhaft.
    Was die Subjektivität wahrhaft verflüchtigen kann – sind ihre eigenen Taten, ihre Besonderheiten – Geschehenes in sich ungeschehen machen – sich absolvieren – nicht vom Guten, Gesetz, sondern von dem Bösen – diese unendliche Energie, Majestät des Gewissens, Ich als abstraktes, als unendliches, in dem das Endliche verschwindet – aber nur insofern diese Gewißheit mit dem Substantiellen, Wahrhaften identisch ist.

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