162

Als subjektiver Ausgangspunkt der Ehe kann mehr die besondere Neigung der beiden Personen, die in dies Verhältnis treten, oder die Vorsorge und Veranstaltung der Eltern usf. erscheinen; der objektive Ausgangspunkt aber ist die freie Einwilligung der Personen, und zwar dazu, e i n e Person auszumachen, ihre natürliche und einzelne Persönlichkeit in jener Einheit aufzugeben, welche nach dieser Rücksicht eine Selbstbeschränkung, aber eben, indem sie in ihr ihr substantielles Selbstbewußtsein gewinnen, ihre Befreiung ist.

Die objektive Bestimmung, somit die sittliche Pflicht, ist, in den Stand der Ehe zu treten. Wie der äußerliche Ausgangspunkt beschaffen ist, ist seiner Natur nach zufällig und hängt insbesondere von der Bildung der Reflexion ab. Die Extreme hierin sind das eine, daß die Veranstaltung der wohlgesinnten Eltern den Anfang macht und in den zur Vereinigung der Liebe füreinander bestimmt werdenden Personen hieraus, daß sie sich, als hierzu bestimmt, bekannt werden, die Neigung entsteht, – das andere, daß die Neigung in den Personen, als in diesen unendlich partikularisierten, zuerst erscheint. – Jenes Extrem oder überhaupt der Weg, worin der Entschluß zur Verehelichung den Anfang macht und die Neigung zur Folge hat, so daß bei der wirklichen Verheiratung nun beides vereinigt ist, kann selbst als der sittlichere Weg angesehen werden. – In dem andern Extrem ist es die unendlich besondere Eigentümlichkeit, welche ihre Prätentionen geltend macht und mit dem subjektiven Prinzip der modernen Welt (s. oben § 124 Anm.) zusammenhängt. – In den modernen Dramen und anderen Kunstdarstellungen aber, wo die Geschlechterliebe das Grundinteresse ausmacht, wird das Element von durchdringender Frostigkeit, das darin angetroffen wird, in die Hitze der dargestellten Leidenschaft durch die damit verknüpfte gänzliche Zufälligkeit, dadurch nämlich gebracht, daß das ganze Interesse als nur auf diesen beruhend vorgestellt wird, was wohl für diese von unendlicher Wichtigkeit sein kann, aber es an sich nicht ist.

Kommentare

2 Antworten zu „162“

  1. Avatar von Eduard Gans
    Eduard Gans

    Bei Völkern, wo das weibliche Geschlecht in geringer Achtung steht, verfügen die Eltern über die Ehe nach ihrer Willkür, ohne die Individuen zu fragen, und diese lassen es sich gefallen, da die Besonderheit der Empfindung noch keine Prätention macht. Dem Mädchen ist es nur um einen Mann, diesem um eine Frau überhaupt zu tun. In anderen Zuständen können Rücksichten des Vermögens, der Konnexion, politische Zwecke das Bestimmende sein. Hier können große Härten vorfallen, indem die Ehe zum Mittel für andere Zwecke gemacht wird. In den modernen Zeiten wird dagegen der subjektive Ausgangspunkt, das Verliebtsein, als der allein wichtige angesehen. Man stellt sich hier vor, jeder müsse warten, bis seine Stunde geschlagen hat, und man könne nur einem bestimmten Individuum seine Liebe schenken.

  2. Avatar von Hegel
    Hegel

    [zu § 162]
    Ehe
    α) Identität der Zwecke, Interessen – Bewußtsein der Einigkeit – Liebe – hebt nicht einen bestimmten Zweck heraus –
    β) besondere Bestimmung – in dieser Einigkeit leben, alles teilen, gemeinschaftlich sorgen – sinnliche Seite, Genuß – Vermögen, Gemeinschaftliche Verwaltung und Gebrauch – Kinder erzeugen – auch wenn Ehen unfruchtbar sind – Hilfe im täglichen und ganzen Leben, gemeinsame Sorge, Genuß – Verstand nebeneinander, und feste unterscheidende Bestimmung in einem oder dem andern.
    γ) Einigkeit – das Sinnliche kommt [zur] Liebe, weil – Natürlichkeit – Lebendigkeit – natürlich verschiedenerlei Geschlecht. Leben kann sich in sich selbst sich unterschieden setzen – Ich.
    δ) lebenslängliche Verbindung – geistige – Allgemeinheit.
    Was will der Mann, das Mädchen? dieses einen Mann – jener eine Frau. – Sie liebt ihn, warum? weil er ihr Mann werden, sie zur Frau machen soll; – sie von ihm als Mann ihre Würde, Wert, Freude, Glück als Ehefrau erhalten soll – und diese ist, daß sie Frau wird. – Liebe, – sie erkennt dieses Interesse für sie in dem Mann – dies vornehmlich die Empfindung des Mädchens. Mann wegen größerer Eigenwilligkeit, Selbständigkeit außer der Ehe α) teils noch gleichgültiger für ihn, wie die Frau beschaffen, – β) teils – im Gegenteil – ebenso eigensinniger, wählender –
    Über dies Substantielle weitere Partikularitäten. Warum hat er [sie] oder sie ihn geheiratet? – Wegen dieser besonderen Eigenschaft – natürlicher Schönheit, Anmut, Liebreiz – Freundlichkeit gegen den Mann – Vermögen, Stand dieser und dieser besondere Charakter –
    Es kommt bei der Wahl auf das Glück des ganzen Lebens an – Allerdings – aber Bestimmung: Glück und Unglück teilen – Eben die Ehe soll höher als Glück und Unglück stehen. – Aber Glück durch einander – Glück in der Ehe als solcher, abhängig vom Charakter. – Möglichkeit, Abhängigkeit dieser Einigkeit – vom besonderen Charakter. Sonst Glück.
    Zufälligkeit der Bekanntschaft – Hoffnung zu gefallen, – ganz einzelner Zug – Geschichte. – Wenn Besonderheit so großes Übergewicht gewonnen – so gute Ehe abhängig davon – Dies Besondere macht das besondere Verliebtsein aus – In der Ehe findet sich allgemein Mann und Frau – Angewöhnung – selbst an Ehe – ist nötig.

    [zu § 162 Anm.]
    Leidenschaftliche Liebe und Ehe ist zweierlei –
    α) Leidenschaft – sein Selbstbewußtsein ganz, alle Saiten seines Wesens nur dieses und nur in diesem wiederklingen – und in Besitz dieser einen zufälligen Person.
    β) Ehe dann Grund und Boden, von welchem aus – indem das Privatsein sein Recht erlangt hat, Interesse für individuelle Persönlichkeit – Tätigkeit ausgeübt wird. Gemeinsamkeit des Lebenszwecks überhaupt.

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