96

Insofern es der daseiende Wille ist, welcher allein verletzt werden kann, dieser aber im Dasein in die Sphäre eines quantitativen Umfangs sowie qualitativer Bestimmungen eingetreten, somit danach verschieden ist, so macht es ebenso einen Unterschied für die objektive Seite der Verbrechen aus, ob solches Dasein und dessen Bestimmtheit überhaupt in ihrem ganzen Umfang, hiermit in der ihrem Begriffe gleichen Unendlichkeit (wie in Mord, Sklaverei, Religionszwang usf.), oder nur nach einem Teile, sowie nach welcher qualitativen Bestimmung verletzt ist.

Die stoische Ansicht, daß es nur eine Tugend und ein Laster gibt, die drakonische Gesetzgebung, die jedes Verbrechen mit dem Tode bestraft, wie die Roheit der formellen Ehre, welche die unendliche Persönlichkeit in jede Verletzung legt, haben dies gemein, daß sie bei dem abstrakten Denken des freien Willens und der Persönlichkeit stehenbleiben und sie nicht in ihrem konkreten und bestimmten Dasein, das sie als Idee haben muß, nehmen. – Der Unterschied von Raub und Diebstahl bezieht sich auf das Qualitative, daß bei jenem [mein] Ich auch als gegenwärtiges Bewußtsein, also als diese subjektive Unendlichkeit verletzt und persönliche Gewalt gegen mich verübt ist. – Manche qualitative Bestimmungen, wie die Gefährlichkeit für die öffentliche Sicherheit, haben in den weiter bestimmten Verhältnissen ihren Grund, aber sind auch öfters erst auf dem Umwege der Folgen statt aus dem Begriffe der Sache aufgefaßt; – wie eben das gefährlichere Verbrechen für sich, in seiner unmittelbaren Beschaffenheit, eine dem Umfange oder der Qualität nach schwerere Verletzung ist. – Die subjektive moralische Qualität bezieht sich auf den höheren Unterschied, inwiefern ein Ereignis und Tat überhaupt eine Handlung ist, und betrifft deren subjektive Natur selbst, wovon nachher.

It is only the will existent in an object that can suffer injury. In
becoming existent in something, however, the will enters the sphere
of quantitative extension and qualitative characteristics, and hence
varies accordingly. For this reason, it makes a difference to the
objective aspect of crime whether the will so objectified and its
specific quality is injured throughout its entire extent, and so in the
infinity which is equivalent to its concept (as in murder, slavery,
enforced religious observance, &c.), or whether it is injured only in a
single part or in one of its qualitative characteristics, and if so, in
which of these.


Kommentare

2 Antworten zu „96“

  1. Avatar von Eduard Gans
    Eduard Gans

    Wie ein jedes Verbrechen zu bestrafen sei, läßt sich durch den Gedanken nicht angeben, sondern hierzu sind positive Bestimmungen notwendig. Durch das Fortschreiten der Bildung werden indessen die Ansichten über die Verbrechen milder, und man bestraft heutzutage lange nicht mehr so hart, als man es vor hundert Jahren getan. Nicht gerade die Verbrechen oder die Strafen sind es, die anders werden, aber ihr Verhältnis.

  2. Avatar von Hegel
    Hegel

    [zu] § 96. Bestimmtheit des Verbrechens –
    Bestimmtheit selbst ist etwas Allgemeines – Mitte zwischen dem Einzelnen und Allgemeinen – Besonderheit – Wert

    [zu § 96 Anm.]
    Die Bildung wird diesen Unterschied, Wert, der Verbrechen näher bestimmen – positive Gesetzgebung – viele Unbestimmtheit, Zweifel –
    Diebstahl, Größe; aber qualitativ: Erbrechung, Gewalt – Felddiebstahl, öffentliches Zutrauen und Sicherheit mehr verletzt. –
    Veränderung in der Ansicht der Verbrechen (Kindermord – Diebstahl – 5 Sous gestohlen in Frankreich, Diebstahl, 40 Schilling in England) – nicht mehr so bestrafenswert, vielmehr andere Ansicht der Strafe
    Allerdings auch Verbrechen nicht mehr so hoch angesehen – Wilddiebstahl – noch in England die höchste Strafe darauf –
    Allerdings Verletzung nicht so stark, wenn die Gesellschaft ihrer sicher ist; – das Allgemeine so fest, daß es fast nicht verletzt wird –
    Unterschied des Betrugs vom eigentlichen Verbrechen –

    Wenn solches Verbrechen ungestraft bleibt, diesem solches erlaubt [ist], so geht die Gesellschaft, die Sicherheit des Eigentums in derselben zugrunde – betrifft eine äußere – nicht die innere Notwendigkeit der Strafe –
    Gefährlichkeit. – Ein Verbrechen ist α) diese einzelne Handlung, β) Allgemeinheit in sich – wie später, hat großen Effekt, nach dieser Seite αα) in äußerlicher Realität: kleines Stück Holz wird angezündet, ganze Stadt verbrennt, ββ) vermittels der Allgemeinheit in Vorstellung – Raub auf offener Landstraße, Unterbrechung der Kommunikation – Wechselverfälschung – γγ) Seite des Realen der Idee als gültig in der Realität vorgestellt: wenn dies frei ausgeht, so halten dies alle für erlaubt, – die nur auf Zusammenhang des an sich Gültigen, nach dem empirisch Geltenden sehen –
    Was in der Welt gilt, ist Recht, ist uns Recht, was den Anderen gilt; – Gleichheit, – eben Voraussetzung im Staate; – Moralität ist fest für sich gegen dies Gelten; oder macht den einzelnen Fall nicht zu einem geltenden, d. i. allgemein seienden, sondern auf dieses Individuum beschränkt.
    Daher Diebstahl unter einem moralischen Volke nicht so gefährlich, – nicht verführerisch –
    Subjektive Imputation, – Zustand, daß Raub, Verbrechen gilt; d. i. daß das Verbrechen ausgeübt wird ohne Scheu – verführerisch, und entschuldigend, daß es gilt; – im Gegenteil aber, ausgeübt mit der Gesinnung, dem Charakter, daß es gilt, so ist ausdrücklich zu zeigen, daß es nicht gilt.
    Unterschied, ob der Verbrecher es tut als ein gültiges; was er tut, soll gelten; aber gültig ist anerkannt, allgemein geltend.
    Zwang. s. o. § 93.

Schreibe einen Kommentar