75

Da die beiden kontrahierenden Teile als unmittelbare selbständige Personen sich zueinander verhalten, so geht der Vertrag α) von der Willkür aus; β) der identische Wille, der durch den Vertrag in das Dasein tritt, ist nur ein durch sie gesetzter, somit nur gemeinsamer, nicht an und für sich allgemeiner; γ) der Gegenstand des Vertrags ist eine einzelne äußerliche Sache, denn nur eine solche ist ihrer bloßen Willkür, sie zu entäußern (§ 65 ff.), unterworfen.

Unter den Begriff vom Vertrag kann daher die Ehe nicht subsumiert werden; diese Subsumtion ist in ihrer – Schändlichkeit, muß man sagen, bei Kant (“Metaphys. Anfangsgründe der Rechtslehre”, S. 106 ff.1) aufgestellt. – Ebensowenig liegt die Natur des Staats im Vertragsverhältnisse, ob der Staat als ein Vertrag aller mit allen oder als ein Vertrag dieser aller mit dem Fürsten und der Regierung genommen werde. – Die Einmischung dieses, sowie der Verhältnisse des Privateigentums überhaupt, in das Staatsverhältnis hat die größten Verwirrungen im Staatsrecht und in der Wirklichkeit hervorgebracht. Wie in früheren Perioden die Staatsrechte und Staatspflichten als ein unmittelbares Privateigentum besonderer Individuen gegen das Recht des Fürsten und Staats angesehen und behauptet worden, so sind in einer neueren Zeitperiode die Rechte des Fürsten und des Staats als Vertragsgegenstände und auf ihn gegründet, als ein bloß Gemeinsames des Willens und aus der Willkür der in einen Staat Vereinigten Hervorgegangenes, betrachtet worden. – So verschieden einerseits jene beiden Standpunkte sind, so haben sie dies gemein, die Bestimmungen des Privateigentums in eine Sphäre übertragen zu haben, die von ganz anderer und höherer Natur ist. – Siehe unten: Sittlichkeit und Staat.

The two contracting parties are related to each other as immediate
self-subsistent persons. Therefore [a] contract arises from the
arbitrary will. [b] The identical will which is brought into existence by
the contract is only one
posited by the parties, and so is only a will
shared in common and not an absolutely universal will. [c] The object
about which a contract is made is a single external thing, since it is
only things of that kind which the parties’ purely arbitrary will has it
in its power to alienate (see §§65ff.)

  1. Metaphysik der Sitten, I. Teil, § 24-27 ↩︎

Kommentare

2 Antworten zu „75“

  1. Avatar von Eduard Gans
    Eduard Gans

    In neuerer Zeit ist es sehr beliebt gewesen, den Staat als Vertrag aller mit allen anzusehen. Alle schlössen, sagt man, mit dem Fürsten einen Vertrag und dieser wieder mit den Untertanen. Diese Ansicht kommt daher, daß man oberflächlicherweise nur an eine Einheit verschiedener Willen denkt. Im Vertrage aber sind zwei identische Willen, die beide Personen sind und Eigentümer bleiben wollen; der Vertrag geht also von der Willkür der Person aus, und diesen Ausgangspunkt hat die Ehe ebenfalls mit dem Vertrage gemein. Beim Staat aber ist dies gleich anders, denn es liegt nicht in der Willkür der Individuen, sich vom Staate zu trennen, da man schon Bürger desselben nach der Naturseite hin ist. Die vernünftige Bestimmung des Menschen ist, im Staate zu leben, und ist noch kein Staat da, so ist die Forderung der Vernunft vorhanden, daß er gegründet werde. Ein Staat muß eben die Erlaubnis dazu geben, daß man in ihn trete oder ihn verlasse; dies ist also nicht von der Willkür der Einzelnen abhängig, und der Staat beruht somit nicht auf Vertrag, der Willkür voraussetzt. Es ist falsch, wenn man sagt, es sei in der Willkür aller, einen Staat zu gründen: es ist vielmehr für jeden absolut notwendig, daß er im Staate sei. Der große Fortschritt des Staats in neuerer Zeit ist, daß derselbe Zweck an und für sich bleibt und nicht jeder in Beziehung auf denselben, wie im Mittelalter, nach seiner Privatstipulation verfahren darf.

  2. Avatar von Hegel
    Hegel

    Der ganze Übergang – der älteren in die neue Zeit – dreht sich hier herum – die Revolution in der Welt – d. h. nicht bloß etwa die laute, – Revolution, die alle Staaten mitgemacht haben.
    Staat, Allgemeines, Gedanke, Zweck, der an und für sich ist. – Nicht mehr fürstliches Privateigentum, fürstliches Privatrecht – philosophischer König – Domänen sind Staatseigentum geworden – Gerechtigkeit – nicht patrimoniale Gerichtsbarkeit: Einzelne sich in Schutz begeben – Abgaben auf Verträgen der Einzelnen: Zinsen, Gilten, – sondern allgemeiner Maßstab. Verteilung des Allgemeinen, nicht besondere Verbindlichkeit des Adels – sondern Aller.
    Friedrich II. – philosophischer König – nicht die besonderen Rechte und Privilegien zu respektieren – Deutsche Reichskonstitution – Hr. von Haller dagegen – bei Friedrich II. hat es als Einfall, Schöngeisterei, Despotismus usf. gegolten, haben ihn gefürchtet – imponiert durch seine Taten, und durch Charakter. – Ganz neuer Gesichtspunkt in der Welt, – in der Wirklichkeit aufgestellt.
    – Vorher deduct. Besitz –
    In neuen Zeiten den Vertrag ändern; – einseitiger Wille, kein Recht – sondern Gewalt – jener Vertrag längst gemacht – Nein, sagten sie, es ist kein Vertrag, sondern Gewalt – erst jetzt das Vertragsverhältnis festsetzen – Alter – bindet uns nicht – Allerdings über Sachen auch die Nachkommen – Jetzt Vertrag, nicht Sache des besonderen Willens, ob gehorchen – sogleich widerlegt in Unterwerfung unter Majorität.

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