§ 379 Enz. 1817

§. 379. y) Das Gedächtniß (Mnemosyne, Muse) ist die Einheit selbstständiger Vorstellung und der Anschauung, zu welcher jene als freye Phantasie sich äussert. – Diese Unmittelbarkeit ist, weil die Intelligenz noch nicht praktisch ist, eine unmittelbare oder gegebene; aber die Anschauung gilt in dieser Identität nicht als positiv und sich selbst sondern als etwas anderes vorstellend; sie ist ein Bild, das eine selbstständige Vorstellung der Intelligenz als Seele in sich empfangen hat, seine Bedeutung. Diese Anschauung ist das Zeichen.

Das Zeichen ist irgend eine unmittelbare Anschauung, aber die eine Vorstellung von ganz anderem Inhalt vorsteilt, als sie für sich hat; – die Pyramide, in welche eine fremde Seele versetzt und aufbewahrt ist. Das Zeichen ist vom Symbol verschieden, einer Anschauung, deren eigene Bestimmtheit ihrem Wesen und Begriffe nach mehr oder weniger der Gedanke ist, den sie als Symbol ausdrückt. Als Bezeichnend beweist daher die Intelligenz eine freyere Willkühr und Herrschaft im Gebrauch der Anschauung, denn als symbolisirend. – Gewöhnlich wird das Zeichen und die Sprache, irgendwo als Anhang in der Psychologie oder auch in [die] Logik eingeschoben, ohne daß an die Nothwendigkeit und Zusammenhang desselben in dem Systeme der Thätigkeit der Intelligenz gedacht würde. Seine wahrhafte Stelle ist die aufgezeigte, daß die Intelligenz, welche als anschauend Zeit und Raum erzeugt, nun ihren selbstständigen Vorstellungen ein bestimmtes Daseyn giebt, den erfüllten Raum und Zeit, die Anschauung in der Bestimmtheit, die sie vom Stoffe der Empfindung hat, als die ihrige gebraucht, deren unmittelbare und eigenthümliche Vorstellung tilgt, und ihr eine andere zur Bedeutung und Seele giebt. – Diese Zeichen erschaffende Thätigkeit wird mit Recht Gedächtniß, und zwar das productive Gedächtniß genannt; indem das Gedächtniß, das freylich im gemeinen Leben oft mit Erinnerung, auch Vorstellung und Einbildungskraft verwechselt und gleichbedeutend gebraucht wird, es überhaupt nur mit Zeichen zu thun hat. Wenn es aber auch in dieser seiner nähern Bestimmung gemeynt ist, so wird sonst nur an das reproductive Gedächtniß gedacht; die Intelligenz producirt aber wesentlich das, was sie reproducirt.

§. 380. Die Anschauung, die für ein Zeichen gebraucht wird, ist als unmittelbare zunächst eine gegebene und räumliche. Aber indem sie nur als aufgehobene, und die Intelligenz diese ihre Negativität ist, so ist die wahrhaftere Form des Daseyns des Zeichens, die Zeit, – ein Verschwinden, indem es ist, und der Ton ist die erfüllte Aeusserung der sich kund gebenden Innerlichkeit (§. 280.). Der für die bestimmten Vorstellungen sich weiter articulirende Ton, die Rede und ihr System, die Sprache giebt den Empfindungen, Anschauungen ein zweytes höheres, als ihr unmittelbares und den Vorstellungen überhaupt ein Daseyn , das im Reiche des Vorstellens gilt.

§. 381. Die Identität der Anschauung im Zeichen und seiner Bedeutung ist zunächst die ein zelne Production; aber als Einheit der Intelligenz ist sie eben so wesentlich Allgemeine. Die Thätigkeit, sie zu erinnern und dadurch allgemein [zu] machen, so wie auch sie zu reproduciren, ist das auswendigbehaltende und reproductive Gedächtniß.

§. 382. Die Zeichen sind viele überhaupt, und als solche schlechthin Zufällige gegeneinander. Das leere Band, welches solche Reihen befestigt und in dieser festen Ordnung behält, ist die ganz abstracte , reine Macht der Subjectivität, das Gedächtniß, das um der gänzlichen Aeusserlichkeit, in der die Glieder solcher Reihen gegeneinander sind, mechanisch genannt wird.

§. 383. Der Nahme ist die Sache, wie sie im Reiche der Vorstellung vorhanden ist und Gültigkeit hat. Aber er hat eine von der Intelligenz hervorgebrachte Aeusserlichkeit, und ist die als für sich unwesentliche, im Gebrauche der Intelligenz stehende und subjectiv gemachte Anschauung, so daß er durch die von dieser ihr gegebene Bedeutung allein Werth hat, welche die an und für sich bestimmte Vorstellung, und die Sache oder das Objective ist. Das mechanische Gedächtniß ist das formelle Aufheben jener Subjectivität, wodurch der Widerspruch des Zeichens wegfällt und die Intelligenz sich für sich in der Gewohnheit zur Sache, als unmittelbarer Objectivität macht. Sie macht auf diese Weise durch das Gedächtniß den Uebergang zum D en k en .

-[vgl. §§ 457 ff. Enz. 1830]