261

Gegen die Sphären des Privatrechts und Privatwohls, der Familie und der bürgerlichen Gesellschaft ist der Staat einerseits eine äußerliche Notwendigkeit und ihre höhere Macht, deren Natur ihre Gesetze sowie ihre Interessen untergeordnet und davon abhängig sind; aber andererseits ist er ihr immanenter Zweck und hat seine Stärke in der Einheit seines allgemeinen Endzwecks und des besonderen Interesses der Individuen, darin, daß sie insofern Pflichten gegen ihn haben, als sie zugleich Rechte haben (§ 155).

Kommentare

3 Antworten zu „261“

  1. Avatar von Karl Marx
    Karl Marx

    Ich habe in den Deutsch-Französischen Jahrbüchern die Kritik der Rechts- und Staatswissenschaft unter der Form einer Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie angekündigt. Bei der Ausarbeitung zum Druck zeigte sich die Vermengung der nur gegen die Spekulation gerichteten Kritik mit der Kritik der verschiednen Materien selbst durchaus unangemessen, die Entwicklung hemmend, das Verständnis erschwerend. Überdem hätte der Reichtum und die Verschiedenartigkeit der zu behandelnden Gegenstände nur auf eine ganz aphoristische Weise die Zusammendrängung in eine Schrift erlaubt, wie ihrerseits eine solche aphoristische Darstellung den Schein eines willkürlichen Systematisierens erzeugt hätte. Ich werde daher in verschiednen selbständigen Broschüren die Kritik des Rechts, der Moral, Politik etc. aufeinanderfolgen lassen und schließlich in einer besondren Arbeit wieder den Zusammenhang des Ganzen, das Verhältnis der einzelnen Teile, wie endlich die Kritik der spekulativen Bearbeitung jenes Materials zu geben versuchen.

    [Ökonomisch-philosophische Manuskripte, 1844; MEW Band 40 (Ergänzungsband 1), S. 467 – Danke für den Hinweis!]

  2. Avatar von Karl Marx
    Karl Marx

    § 261. »Gegen die Sphären des Privatrechts und Privatwohls, der Familie und der bürgerlichen Gesellschaft, ist der Staat einerseits eine äußerliche Notwendigkeit und ihre höhere Macht, deren Natur ihre Gesetze sowie ihre Interessen untergeordnet und davon abhängig sind; aber andererseits ist er ihr immanenter Zweck und hat seine Stärke in der Einheit seines allgemeinen Endzwecks und des besonderen Interesses der Individuen, darin, daß sie insofern Pflichten gegen ihn haben, als sie zugleich Rechte haben(§ 155).«

    Der vorige Paragraph belehrt uns dahin, daß die konkrete Freiheit in der Identität (sein sollenden, zwieschlächtigen) des Systems des Sonderinteresses (der Familie und der bürgerlichen Gesellschaft) mit dem System des allgemeinen Interesses (des Staates) bestehe. Das Verhältnis dieser Sphären soll nun näher bestimmt werden.

    Einerseits der Staat gegen die Sphäre der Familie und der bürgerlichen Gesellschaft eine »äußerliche Notwendigkeit«, eine Macht, wovon ihm »Gesetze« und »Interessen« »untergeordnet und abhängig« sind. Daß der Staat gegen die Familie und bürgerliche Gesellschaft eine »äußerliche Notwendigkeit« ist, lag schon teils in der Kategorie des »Übergangs«, teils in ihrem bewußten Verhältnis zum Staat. Die »Unterordnung« unter den Staat entspricht noch vollständig diesem Verhältnis der »äußerlichen Notwendigkeit«. Was Hegel aber unter der »Abhängigkeit« versteht, zeigt folgender Satz der Anmerkung zu diesem Paragraphen:

    »Daß den Gedanken der Abhängigkeit insbesondere auch der privatrechtlichen Gesetze von dem bestimmten Charakter des Staats, und die philosophische Ansicht, den Teil nur in seiner Beziehung auf das Ganze zu betrachten, – vornehmlich Montesquieu […] ins Auge gefaßt« etc.

    Hegel spricht also hier von der innern Abhängigkeit oder der wesentlichen Bestimmung des Privatrechts etc. vom Staate; zugleich aber subsumiert er diese Abhängigkeit unter das Verhältnis der »äußerlichen Notwendigkeit |204|*« und stellt sie der andern Beziehung, worin sich Familie und bürgerliche Gesellschaft zum Staate als ihrem »immanenten Zweck« verhalten, als die andere Seite entgegen.

    Unter der »äußerlichen Notwendigkeit« kann nur verstanden werden, daß »Gesetze« und »Interessen« der Familie und der Gesellschaft den »Gesetzen« und »Interessen« des Staats im Kollisionsfall weichen müssen, ihm untergeordnet sind, ihre Existenz von der seinigen abhängig ist oder auch sein Wille und seine Gesetze ihrem »Willen« und ihren »Gesetzen« als eine Notwendigkeit erscheint!

    Allein Hegel spricht hier nicht von empirischen Kollisionen; er spricht vom Verhältnis der »Sphären des Privatrechts und Privatwohls, der Familie und der bürgerlichen Gesellschaft« zum Staat; es handelt sich vom wesentlichen Verhältnis dieser Sphären selbst. Nicht nur ihre »Interessen«, auch ihre »Gesetze«, ihre »wesentlichen Bestimmungen« sind vom Staat »abhängig« und ihm »untergeordnet«. Er verhält sich als »höhere Macht« zu ihren »Gesetzen und Interessen«. Ihr »Interesse« und »Gesetz« verhalten sich als sein »Untergeordneter«. Sie leben in der »Abhängigkeit« von ihm. Eben weil »Unterordnung« und »Abhängigkeit« äußere, das selbständige Wesen einengende und ihm zuwiderlaufende Verhältnisse sind, ist das Verhältnis der »Familie« und der »bürgerlichen Gesellschaft« zum Staate das der »äußerlichen Notwendigkeit«, einer Notwendigkeit, die gegen das innere Wesen der Sache angeht. Dies selbst, daß »die privatrechtlichen Gesetze von dem bestimmten Charakter des Staats« abhängen, nach ihm sich modifizieren, wird daher unter das Verhältnis der »äußerlichen Notwendigkeit« subsumiert, eben weil »bürgerliche Gesellschaft und Familie« in ihrer wahren, d.i. in ihrer selbständigen und vollständigen Entwicklung dem Staat als besondere »Sphären« vorausgesetzt sind. »Unterordnung« und »Abhängigkeit« sind die Ausdrücke für eine »äußerliche«, erzwungene, scheinbare Identität, als deren logischen Ausdruck Hegel richtig die »äußerliche Notwendigkeit« gebraucht. In der »Unterordnung« und »Abhängigkeit« hat Hegel die eine Seite der zwiespältigen Identität weiter entwickelt, und zwar die Seite der Entfremdung innerhalb der Einheit,

    »aber andererseits ist er ihr immanenter Zweck und hat seine Stärke in der Einheit seines allgemeinen Endzwecks und des besonderen Interesses der Individuen, darin, daß sie insofern Pflichten gegen ihn haben, als sie zugleich Rechte haben«.

    Hegel stellt hier eine ungelöste Antinomie auf. Einerseits äußerliche Notwendigkeit, andrerseits immanenter Zweck. Die Einheit des allgemeinen Endzwecks des Staats und des besonderen Interesses der Individuen soll darin bestehn, daß ihre Pflichten gegen den Staat und ihre Rechte an denselben |205| identisch sind (also z.B. die Pflicht, das Eigentum zu respektieren, mit dem Recht auf Eigentum zusammenfiele).

    Diese Identität wird in der Anmerkung [zum § 261] also expliziert:

    »Da die Pflicht zunächst das Verhalten gegen etwas für mich Substantielles, an und für sich Allgemeines ist, das Recht dagegen das Dasein überhaupt dieses Substantiellen ist, damit die Seite seiner Besonderheit und meiner besondern Freiheit ist, so erscheint beides auf den formellen Stufen an verschiedene Seiten oder Personen verteilt. Der Staat als Sittliches, als Durchdringung des Substantiellen und des Besonderen, enthält, daß meine Verbindlichkeit gegen das Substantielle zugleich das Dasein meiner besonderen Freiheit, d.i. in ihm Pflicht und Recht in einer und derselben Beziehung vereinigt sind.«

  3. Avatar von Eduard Gans
    Eduard Gans

    Auf die Einheit der Allgemeinheit und Besonderheit im Staate kommt alles an. In den alten war der subjektive Zweck mit dem Wollen des Staates schlechthin eins, in den modernen Zeiten dagegen fordern wir eine eigene Ansicht, ein eigenes Wollen und Gewissen. Die Alten hatten keines in diesem Sinne; das Letzte war ihnen der Staatswille. Während in den asiatischen Despotien das Individuum keine Innerlichkeit und keine Berechtigung in sich hat, will der Mensch in der modernen Welt in seiner Innerlichkeit geehrt sein. Die Verbindung von Pflicht und Recht hat die gedoppelte Seite, daß das, was der Staat als Pflicht fordert, auch das Recht der Individualität unmittelbar sei, indem es nichts eben ist als Organisation des Begriffs der Freiheit. Die Bestimmungen des individuellen Willens sind durch den Staat in ein objektives Dasein gebracht und kommen durch ihn erst zu ihrer Wahrheit und Verwirklichung. Der Staat ist die alleinige Bedingung der Erreichung des besonderen Zwecks und Wohls.

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